Atemlos animiert

Zu viel, zu schnell, zu lang, aber mit Prinzip: Constanza Macras zeigt mit „Der Palast“ ihre erste Uraufführung an der Volksbühne

Hochge­schwindig­­keitsperformance: „Der Palast“ von Constanza Macras an der Volksbühne Foto: Thomas Aurin

Von Astrid Kaminski

Wolkig, das sagt nicht die Wetter-App, sondern der Kopf nach der jüngsten Tanznacht an der Volksbühne. Constanza Macras hat dort, nach der Wiederaufnahme ihrer Großstadtchoreografie „Megalopolis“ von 2010, mit ihrer Kompanie DorkyPark und Gästen ihre erste Uraufführung gestemmt. Wobei die Volksbühnen-Geschichte der in Buenos Aires aufgewachsenen Wahlberliner schon auf die frühen nuller Jahre zurückgeht und sich von dort aus gut ein Themenbogen zur jetzigen Uraufführung „Der Palast“ spannen lässt.

Aber erst mal zur Wetterlage nach drei Stunden Tanz im Reality-TV-Showformat mit Gentrifizierungsdiskurs, Jury- und weiteren Trashdialogen zu historisierenden Enactment-Fotografien, Liveband, Prospektfahrten und Playmobilanimation im atemlosen Macras-Tempo: Zu viel, zu schnell – das sind die Markenzeichen dieser urbanen Choreografin, die schon immer so atemlos und aufgeregt wie eine Megacity inszeniert. „Zu lang“ gehört eigentlich nicht in die Reihe dieser Prädikate. Für „Der Palast“ gilt es.

Wo anfangen?, ist dabei nicht nur die Frage zum Stück. Es ist die Frage, die Constanza Macras immer wieder ziemlich genau auf den Kopf trifft. In einem Satz wie diesem zum Beispiel: „Merhaba, ich hätte gern einen Soja-Cappuccino.“

Die Schauspielerin Tatiana Saphir sagt ihn bei ihrem kurzen Gastauftritt und erzählt dazu eine Geschichte, die ihre eigene genauso gut wie die unzähliger anderer Kreativer sein könnte. Um Kinderwägen zu entfliehen, ist sie vom Prenzlauer Berg in den Wedding gezogen. Dort hat sie den „türkischen“ Backshop in ihrer Straße so lange mit dem Bedarf nach Milchersatzprodukten traktiert, bis ein stylischer Vintageshop draus wurde. Als gleichzeitig die Investoren kamen, dämmerte es der Allergikerin langsam: „Vielleicht folgen sie mir?“

Dass Künstler*innen nicht nur unschuldige Opfer von Gentrifizierung sind, sondern durch ihr Konsum- und Lifestyleverhalten Teil des Problems, ist keine neue Erkenntnis. Aber das Gift, das in „Der Palast“ auf die Sperrspitzen der trashigen Selbstkritik aufgetragen wird, trifft. Und da in dieser Afro-Asian-Street-Dance-Fusion alles von allen appropriiert und dadurch der Prozess der Nivellierung von Lokal- und Szenenkolorit durchexerziert wird, geht – anders als in der letzten Produktion „Chatsworth“ – auch Macras’ Kritik queer-feministischer Selbsterbauungsrhetorik auf. Sie zielt dieses Mal nicht mehr so sehr auf den Haha-Effekt einer Entlarvung von PC-Sprech, die genauso gut aus der rechten Ecke kommen könnte, als vielmehr auf einen Vokabularkonsum, der genauso Lifestyle-affin geworden ist wie einst Sushi-Essen. Genauso Showdance-affin wie Salsa, Swing, Hip- und Lindy-Hop.

Diese Selbstanwendung des anarchischen Witzes, für den DorkyPark bekannt ist, schafft es über die langen Passagen von „Der Palast“, in denen sich Formationstanz an Formationstanz, Investorentrauma an Investorentrauma reiht, zu tragen. Vor allem Anne Ratte-Polle, die seit dem politisch erzwungenen Abdanken von Volksbühnenpatriarch Frank Castorf nun zum ersten Mal wieder an der Volksbühne zu sehen ist, sowie DorkyPark-Veteranin Fernanda Ferrah sorgen für energetisierende Pointengewitter.

Ratte-Polle switcht zwischen exaltierter Jurorin mit Halskrausen-Bolero-Jäckchen und Dance-Contest-Teilnehmerin mit Plattenbauhintergrund. Ferrah leitet dann vom 80er-Jahre-Berlin-Image zu aktuellen Medienversionen („Homeland“, Staffel fünf, zum Beispiel) der Kreativenmetropole über – von Christiane F., Bowies „Heroes“ und dem Wunsch, in die Stadt zu kommen, um Junkie zu werden, zu Techno-Clubs, Koks und Toilettensex. Den ständigen American-Dream-Parolen, die in der „Der Palast“ kursieren, scheint Berlin Folge geleistet zu haben: Verliere nie deine Ambitionen, selbst wenn du dein Herz verlierst.

Mit solchen Parolen liefert Macras auch die Steilvorlage zu ihrer eigenen Arbeit. Eine handwerkliche Glanzleistung, die so ambitiös wie leer ist. Das Bühnenbild wechselt zwischen TV-Show-Studio zu Westside-Story-Panorama mit Stahlträgerbrücke und Wohnraumaufriss, die Tänzer*innen sind drahtig, die Band meistert den Übergang zwischen dem nervösen elektronischen Schwelen von Robert Lippoks Komposition zu Latin-Rhythmen und Purcell-Verschnitten mit atmosphärischer Präsenz. Und auch die Leere, die aufkommt, wenn Gentrifizierungsproblematiken mit kulturellen Verflachungsformaten überblendet werden, Haben mit Sein, ist kalkuliert. Ästhetisch aber bleibt Macras damit im Repräsentationstheater verhaftet. Vom Kostüm-Shakespeare zur Kostüm-Dance-Battle ist es nicht weit.

Drei Stunden Tanz im Reality-TV-Show-format mit Gentrifizierungs-diskurs und Trashdialogen

Das brisante Material aus Recherchen zum momentanen Berliner Häuserkampf und Investorenstrategien – von Steuertricks zu Verdrängungsmethoden wie Leitungen kappen und Häuser fluten – geht dabei genauso unter wie die Palast-Metapher des Titels und die Hintergrundfotografien von Tom Hunter. Er wurde durch sein Foto einer Hausbesetzerin im Stil des altniederländischen Meisters Vermeer bekannt. Für „Der Palast“ hat er Cast und Techniker im Stadtraum abgelichtet und dabei Figurationen und Kostüme vorwiegend niederländischer und italienischer Klassiker verwendet.

Die Enactments wirken allerdings eher gestellt als dass sie sich kontextuell entfalten könnten. Mehr Idee als Konzept. Das gilt auch für die Palast-Metapher, die Assoziationen zwischen dem abgerissenen Palast der Republik der einstigen DDR und westlichen Sozialbauten im Stil des Pallasseums in Schöneberg aufruft, aber nicht weiter ausführt. Verstopfte soziale Utopien, die verstopft bleiben.

Was neben der Selbstironie des Abends und einer virtuos-witzigen Playmobilfiguren-Animation zum Häuserkampf funktioniert, ist die Programmation von Volksbühnen-Intendant Klaus Dörr. Nachdem Constanza Macras von 2001 an Teil der „Rollenden Road Show“ gewesen ist, mit der die Volksbühne Berliner Randbezirke mit Theater versorgte, ist die urbanste der Berliner Choreografinnen nun zurück. Und nachdem das Tanzkonzept von Dörrs Vorgänger Chris Dercon weitgehend abgelehnt wurde, ist damit auch das Publikum zurück.

Zur Premiere am Donnerstagabend brummte es vor der Volksbühne wie zu guten alten Zeiten. Allerdings könnte diese Kohärenz doch etwas zu einfach sein. Oder zu heftig. Eine Hochdruckchoreografin unter Hochdruck.

Der Palast: Volksbühne 6.+14. April, 16.+17. Mai