berliner szenen: Tür zu einer dunklen Kammer
Meine älteste Freundin ist zu einem Bewerbungsgespräch in Berlin eingeladen. Obwohl sie hier zahlreiche Übernachtungsmöglichkeiten hat, freut sie sich darüber, dass das Unternehmen ihr ein Hotelzimmer in unmittelbarer Nähe bucht. „Ein Hotel am Potsdamer Platz ist bestimmt toll“, sagt sie. Wir verabreden uns für 23 Uhr in der Lobby, um uns wenigstens kurz zu sehen – am nächsten Morgen muss sie gleich nach ihrem Interview wieder nach Hause fahren.
Auf der Suche nach dem Hotel laufe ich die Straße rauf und runter, vorbei an Dönerbuden und Nagelstudios. Dann entdecke ich neben einem Gerüst mit schmuddeligen Planen endlich die Hausnummer. Ich will sie gerade noch einmal überprüfen, als meine Freundin schon schreibt: „Wenn Du ‚herrje‘ denkst, bist Du richtig. Ich warte im 3. Stock.“
Neugierig gehe ich zum Eingang neben einem beschlagenen Schaufenster. Noch weniger einladend als das Äußere des Hotels ist sein Inneres: Es gibt weder Lobby noch Rezeption. Im Flur herrscht Stille, es riecht nach ranzigem Fisch.
Der Holzfahrstuhl ruckelt und knarrt so sehr, dass ich bereits befürchte, stecken zu bleiben, als er mit einem heftigen Ruck stehen bleibt. Meine Freundin kommt mir im Flur schon grinsend entgegen und holt mich ab. Sie öffnet die Tür einer dunklen Kammer, die wirkt, als sei sie seit Jahrzehnten nicht mehr betreten worden: Die Tapeten kommen von den Wänden, die Möbel sind verstaubt, die Bettwäsche hat einen Gelbstich.
Ich rufe nur: „Nichts wie raus hier!“ Sie lacht: „Ab in die nächstbeste Bar! Da haben wir dann auch Zeit. Die Bewerbung morgen kann ich mir eigentlich schenken. Ich kann ja wohl kaum für eine Firma arbeiten, der ihre Mitarbeiter so wenig wert sind, dass sie die in so eine Bude schickt.“ Eva-Lena Lörzer
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