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Bäume des Lebens, Bäume des Todes

Krieg und Landschaft: Liviu Rebreanus „Der Wald der Gehenkten“ ist einer der bedeutendsten Romane der modernen rumänischen Literatur – und jetzt in einer gelungenen Neuübersetzung zu entdecken

Von Katharina Granzin

Literaturpreise sind ja auch dafür da, dass wenigstens ein paar der richtig guten Bücher ihren Weg zu den Lesenden finden. Es ist zu hoffen, dass die Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse für Georg Aeschts Neuübersetzung von Liviu Rebreanus „Der Wald der Gehenkten“ in dieser Hinsicht schon etwas bewirkt hat (auch wenn in Leipzig schließlich eine andere Übertragung aus dem Rumänischen gewann: Eva Ruth ­Wemmes Übersetzung von Gabriela Ada­meş­tea­nus Roman „Verlorener Morgen“). Aescht jedenfalls bringt das Kunststück fertig, einen lebendigen Ton zu treffen, der die Entstehungszeit des Werks sprachlich zum Klingen bringt, ohne dass für heutige Ohren je der Eindruck von gesuchter Antiquiertheit entstünde.

Der Roman erschien 1922 im rumänischen Original. Er spielt während des Ersten Weltkriegs im ungarischen Teil des k.u.k.-Reichs an der rumänisch-ungarischen Front. Ein junger Mann steht in seinem Zen­trum, ein Rumäne in österreichisch-ungarischen Diensten. Sein Romanschicksal ist in manchen Zügen dem Schicksal eines Bruders des Autors nachgestaltet. Auch Liviu Rebreanu selbst, der 1885 im damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Siebenbürgen geboren war, hatte gedient, aber im Gegensatz zu seinem Bruder Emil den Krieg überlebt.

„Der Wald der Gehenkten“ ist kein klassischer Antikriegsroman, er erzählt nicht einmal vom Krieg an sich. Kampfhandlungen kommen so gut wie gar nicht vor. Die Toten, die der Autor uns sehen lässt, sterben nicht durch Schüsse des Feindes, sondern durch den Strang. Gleich in der Eingangsszene müssen wir die Hinrichtung eines Deserteurs miterleben und sehen erstmals auch den Helden des Romans, der zu diesem Zeitpunkt noch voller Überzeugung seinen Dienst versieht und einem anderen, zweifelnden Offizier gegenüber die Notwendigkeit der Hinrichtung vehement verteidigt.

Liviu Rebreanu: „Der Wald der Gehenkten“. Aus dem Rumänischen von Georg Aescht. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018. 352 S., 26 Euro

Erst nach dieser emblematischen Eingangsszene wird Apostol Bologa als Protagonist wirklich eingeführt: ein junger Mann aus Siebenbürgen, der in Budapest studiert hat und gerade beginnt, seinen Weg in der Welt zu machen, als der Krieg ausbricht. Er verpflichtet sich zum Militärdienst, um seine Verlobte zu beeindrucken. Als die Handlung einsetzt, hat Apos­tol schon über zwei Jahre Krieg und mehrere Verwundungen hinter sich. Man schreibt das Jahr 1917. Das Leben an der Front zeichnet Rebreanu als eigenen kleinen Kosmos, in dem zahlreiche Nationalitäten und Weltanschauungen dicht beieinander existieren, gleichzeitig aber jeder allein bleibt mit seiner Geschichte.

Der Rest der Welt ist weit weg. Dass in Russland irgendwann die Revolution ausbricht, lässt Apostol kalt und scheint auch das Kriegsgeschehen nicht zu beeinflussen – obwohl es doch gerade die „Moskowiter“ sind, die sich auf der anderen Seite dieser Frontlinie verschanzt haben. Als die Information durchsickert, dass die Kompanie an die rumänische Front verlegt werden soll, gerät Apostols soldatisches Selbstverständnis in Schieflage. Er bittet um Versetzung, um nicht auf Rumänen schießen zu müssen, fällt dieser nationalistischen Skrupel wegen in Ungnade, wird aber kurz darauf bei einem Überraschungsangriff der Russen so schwer verletzt, dass er für Monate im Lazarett liegt und danach ins Hinterland versetzt wird.

Einquartiert bei einem ungarischen Bauern, der auch als Totengräber fungiert, verliebt Apostol sich in dessen Tochter. Das junge Glück aber trübt sich jäh, als er den Befehl erhält, beim Militärgericht zu dienen; denn die Österreicher sind gerade dabei, reihenweise Bauern als vermeintliche Spione zu hängen. Man baut für sie nicht einmal Galgen, sondern knüpft sie an Bäumen auf …

„Der Wald der Gehenkten“ legt Zeugnis ab von einer ganz bestimmten historischen Konstellation. Vor allem die Nationalitätenfrage im Vielvölkerstaat wird verhandelt. Das Liebesthema, das im Laufe des Romans stark an Bedeutung gewinnt, hat unter anderem die Funktion, Apostols durch den Krieg erst so recht hervorgerufenen nationalen Gefühle zu konterkarieren. Er löst seine Verlobung mit einer Rumänin aus seinem Heimatort und führt als Grund an, dass sie in der Öffentlichkeit mit ihm Ungarisch gesprochen habe. Doch hat er sie zu diesem Zeitpunkt schon längst selbst gegen eine Ungarin ausgetauscht. Das Aufwallen dieser neuen Liebesbeziehung wiederum ist zugleich ein Symbol des Lebens gegen den Tod, also gegen den Krieg selbst. Implizit ist damit klar, dass Apostol unter diesen Vorzeichen diesen Krieg nicht freiwillig wird zu Ende führen können.

In der Überspanntheit der Zeichen zeigt sich die Ausnahmesituation des Krieges

Dieser in sich selbst also noch doppelt verkreuzte Grundkonflikt weist in seiner Symbolhaftigkeit weit über den historischen Kontext hinaus und erhebt das Romanschicksal des Apostol Bologa in den Bereich der großen menschlichen Daseinsfragen. Der expressionistische Duktus, der vor allem in einer ausgeprägten Naturmetaphorik besteht, unterstreicht diesen Anspruch. Es ist, als würde die Welt unablässig in Zeichen sprechen. Da werden dunkle Baumkronen zu „flehenden schwarzen Händen“, ein Bach rauscht zu Tal „wie ein ungestümes Kind“, der Himmel strahlt wie das Lächeln eines Mädchens; und immer steht ein Obstbaum in voller Blüte, wenn eine Frau am Bahnhof steht und den jungen Leutnant erwartet oder verabschiedet.

Die Landschaft, die im Hintergrund stets miterzählt wird, ist nie einfach nur da, sondern transportiert immer noch eine weitere Bedeutungsebene mit. Obwohl heutzutage kein Mensch mehr so schreiben würde, wirkt diese offensive, zeichenhafte Aufgeladenheit doch ganz natürlich, zeigt sich doch erst darin die verzweifelte psychische Verfasstheit des Protagonisten, der in der Ausnahmesituation des Krieges in einem permanenten Zustand der übergroßen Anspannung, der Überspanntheit im wahrsten Sinne des Wortes, gefangen ist. In der expressionistischen Geste spiegelt sich eine zerquälte Seele, die sich ihrer selbst nicht bewusst ist. Das hat immense visuelle Kraft. Und gleichzeitig ist es große psychologische Erzählkunst.

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