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Ironische Trauermusik

Alte Musik und Effi Briest: Liebevoll gestaltet ist das Festival Aequinox in Neuruppin

Die junge spanische Sopranistin Aurora Peña schließlich setzt dem Abend mit Arien von Händel und Vivaldi ganz besondere Glanzlichter auf Foto: Marcus Lieberenz/Aequinox

Von Katharina Granzin

Neuruppin ist eine schöne Stadt, auf eine sehr preußische Art. Niedrige klassizistische Gebäude säumen rechtwinklig gezogene, pfeilgerade Straßen, die so breit sind, dass jederzeit ein Regiment hindurchmarschieren kann. Auf dem riesigen Marktplatz wirkt das Denkmal für Friedrich Wilhelm II. winzig, das die Bürger einst in Dankbarkeit dort aufgestellt haben. Die preußische Staatskasse hatte nämlich einiges springen lassen, damit die Stadt nach einem großen Brand im Jahr 1787 wiederaufgebaut werden konnte. Jener Katastrophe ist das einmalige klassizistische Stadtbild zu verdanken.

Auch die Kirche St. Marien steht auf einem riesigen leeren Platz. Seltsam leer eigentlich; aber als die Besucherin aus Berlin um genau sechs Minuten vor acht das Eingangsportal erreicht, stellt sich heraus, dass die anderen sechshundert längst alle drin sind. Dieser Abend ist ein besonderer, denn um 8 Uhr soll das Hauptkonzert des Festivals „Aequinox“ beginnen, das seit nunmehr zehn Jahren immer um die Tagundnachtgleiche herum im Frühjahr stattfindet.

Eine Besonderheit des Festivals, das maßgeblich von der Berliner lautten compagney und ihrem Leiter Wolfgang Katschner gestaltet wird, liegt darin, dass ein Großteil der Konzerte unter einem literarischen Thema steht. Die textlich-inhaltliche Seite verantwortet der Autor und Regisseur Christian Filips. Für diesen Abend hat man sich gemeinsam Fontane vorgenommen, dessen Geburt bald zweihundert Jahre zurückliegen wird. Filips hat den Roman „Effi Briest“ auf die markantesten Szenen reduziert. Er selbst sekundiert, als Sprecher von Effis Ehemann, der Schauspielerin Eva Mattes, die für die Effi-Lesung nach Neuruppin gekommen ist. Dazwischen gibt es Musik, oder auch umgekehrt.

Aequinox ist, entsprechend der Spezialisierung der formidablen lautten compagney, im Kern ein Festival für Alte Musik, doch das ist ein flexibles Konzept. Wolfgang Katschner hat rund um Fontanes Liebe-und-Ehebruchsthema eine einschlägige musikalische Wundertüte arrangiert, die ihre meisten Bestandteile aus Renaissance bis Barock bezieht, aber auch eine Beimengung moderner bis zeitgenössischer Elemente enthält. Mit der Interpretation von Spirituals durch historische Blasinstrumente (was ein sehr apartes Klangbild und eine recht ironische Trauermusik für Major von Crampas, Effis Liebhaber, abgibt) steht sogar eine veritable Crossover-Nummer auf dem Programm.

Don Quichotte spielt im mit Antiquitäten vollgestopften Speicher

Neben der lautten compagney tritt das Leipziger Calmus Ensemble auf, ein international renommiertes Vokal-Quintett, das vom Renaissancefürsten Carlo Gesualdo bis zum vor wenigen Jahren verstorbenen Wort-und-Ton-Künstler Georg Kreisler Musik aus vielen Jahrhunderten im Gepäck hat und in hochmusikalischer Manier darzubieten weiß. Die junge spanische Sopranistin Aurora Peña schließlich setzt dem Abend mit Arien von Händel und Vivaldi ganz besondere Glanzlichter auf. (Man sollte womöglich zusehen, diese Sängerin zu buchen bzw. zu erleben, solange sie noch bei kleinerem Budget zu haben ist.) Es ist schwer zu glauben, dass tatsächlich über dreieinhalb Stunden vergangen sind, als irgendwann der letzte Ton verklingt.

Der nächste Tag, letzter des dreitägigen Festivals, ist Sonntag, aber die NeuruppinerInnen sind früh aufgestanden, um sich wieder lange vor dem Konzertbeginn von „Die Abenteuer des Don Quichote“ in der etwas außerhalb gelegenen Neumühle einzufinden. Im außergewöhnlichen Ambiente eines alten, mit Antiquitäten vollgestopften Speichers tritt eine fünfköpfige Abordnung der lautten compagney gemeinsam mit der Schauspielerin Mechthild Großmann an, die ritterlichen Aventüren aus Sicht einer sehr selbstbewussten Stute Rosinante zu interpretieren (auch dieser Text stammt von Christian Filips). Zu spanischer Musik der Renaissance prunkt Großmann (Tatort-Addicts als Münsteraner Staatsanwältin bekannt) mit volltönender Bariton-Sprechstimme, rollenkonformer Haarmähne und einem schier unerschöpflichen Ausdrucksrepertoire. Es wird viel gelacht; Menschen mit glücklichen Gesichtern verlassen danach durch die Antiquitätensammlung das Gebäude, und wer noch kann und schon eine Karte hat, darf zum schönen Abschlusskonzert mit dem Calmus Ensemble im erstaunlich ansprechenden Konzertsaal der Neuruppiner Kliniken.

Danach hat die Besucherin leider keine Zeit mehr, die vielempfohlene spätgotische Siechenhauskapelle zu besichtigen, in der das Festival einst seinen Anfang nahm. Aber so gibt es halt für ein anderes Mal noch was zu gucken. Ab dem 30. März wird in Stadt und Region mit aller Macht das Fontanejahr begangen werden. Schon jetzt steht Fontane, senfgelb angemalt, vielerorts in der Landschaft herum wie ein etwas zu groß geratener Gartenzwerg.

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