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Archiv-Artikel

Für den Klimawandel sind Korallen zu träge

NATUR Selbst wenn der Ausstoß von Treibhausgasen stark zurückginge, wäre ein Großteil der Korallenriffe bedroht. Für eine Anpassung an wärmeres Wasser sind die Lebenszyklen der Organismen zu lang

BERLIN taz | Es sind bedrohliche Zahlen, die das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung am Wochenende veröffentlichte: Bis zum Jahr 2030 könnten rund 70 Prozent aller Korallenstandorte dauerhaft geschädigt sein – selbst wenn ambitionierte Klimaschutzziele eingehalten werden. Zu diesem Ergebnis kommt die bislang „umfassendste und robusteste Analyse“ zur Korallenbleiche, wie die Forscher im Fachblatt Nature Climate Change berichten. „Korallenriffe sind schon deutlich unter einer globalen Erwärmung um 2 Grad massiv von Bleichungsereignissen und den daraus folgenden langfristigen Schäden bedroht“, sagte Hauptautorin Katja Fieler der taz.

Eine Erwärmung der Erdatmosphäre um 2 Grad gilt als Obergrenze, um den Klimawandel noch beherrschbar zu halten. Doch selbst wenn dieses von der UN-Klimakonferenz geforderte Ziel erreicht würde, würde der Studie zufolge eine bedrohliche Korallenbleiche einsetzen. Riffbildende Korallen sind tierische Organismen, die zu den Nesseltieren gehören und in Symbiose mit bestimmten Algen leben; diese sind nicht nur für die Färbung der Koralle verantwortlich, sondern liefern auch Sauerstoff und Kohlenhydrate. Bei Temperaturstress stoßen die Korallen die Algen ab – die Koralle „bleicht“. Die Koralle kann diesen Zustand einige Zeit überleben. Hält die Bleiche an, stirbt sie.

Dass eine Erhöhung der Wassertemperatur Korallen schädigt, ist also bekannt. Auch das in der Studie verwendete Verfahren ist bewährt: „Wir benutzen einen bereits etablierten Indikator für temperaturbedingten Stress bei Korallen, um die Häufigkeit von Bleichungen zu beschreiben“, sagt Frieler. Neu ist: Erstmals wurde „eine Vielzahl verschiedener Klimamodellsimulationen einbezogen.“ Bis jetzt einzigartig ist auch der Umfang der Studie: Die internationale Forschungsgruppe rechnete die Erwärmungsszenarien für 2.160 Riffstandorte mit 19 verschiedenen Modellen für das gesamte 21. Jahrhundert durch.

Ein Absterben der Korallen hätte vielfältige Folgen: Die Riffe sind der Lebensraum rund eines Viertels der ozeanischen Artenvielfalt. Sie sind auch für den Menschen enorm wichtig, als Wellenbrecher zum Küstenschutz, als touristische Einnahmequelle und vor allem als Nahrungsquelle für rund 100 Entwicklungsländer. Es gibt noch einen biologischen Ausweg für die Korallen: Sie passen sich den neuen Verhältnissen an, etwa durch den Wechsel auf eine temperaturresistentere Algenart. Die Chancen dafür stehen eher schlecht, erläutert Mitautor Ove Hoegh-Guldberg von der australischen University of Queensland.

Der Grund ist die geringe Evolutionsgeschwindigkeit der Korallen. Diese nimmt zu, je kürzer die Lebenszyklen sind. Korallen werden aber bis zu 100 Jahre alt. Außerdem pflanzen sie sich als Klone fort, was die genetische Vielfalt gering hält und so die Evolutionsgeschwindigkeit im Vergleich zur geschlechtlichen Vermehrung bremst. Auch bei einer positiven Bewertung des Anpassungspotenzials der Korallen prognostizieren die Autoren, dass sich bereits bei einer Erwärmung des Oberflächenwassers um 1,5 Grad nur noch die Hälfte aller Riffe schützen lässt.

PATRICK LOEWENSTEIN