Sexy Orangen und Glitzerfummel
Singen, erzählen, tanzen: Mit dem queerfeministischen Kabarett „Across the Middle, Past the East“ dekonstruieren acht Künstlerinnen als temporäres Kollektiv dominante Narrative in der westlichen Welt, mit denen der östliche Mittelmeerraum immer wieder belegt wird
Von Fatma Aydemir
Im Türkischen gibt es das Sprichwort: „Besser sind nur Aprikosen in Damaskus“ (Bundan iyisi, Şam’da kayısı). Diese etwas antiquierte Redewendung gilt als Kompliment für Waren oder Leistungen, nach dem Motto: Das ist so toll, besser geht es kaum. Sie erzählt aber auch etwas über eine Zeit, in der mit Damaskus, mit Syrien, mit der gesamten Region, die heute je nach Perspektive mal östlicher Mittelmeerraum, mal Naher Osten genannt wird, nicht Konflikte und Genozide und Kriege in Verbindung gebracht wurden, sondern kostbare Dinge: Handel, Austausch, Stil.
Es ist bemerkenswert, dass ideologische Kriege heute allein in jener Region ausgemacht, beziehungsweise über diese verhandelt werden. Natürlich herrscht in Syrien Krieg, natürlich gibt es den Nahostkonflikt, und den Kurdenkonflikt, und instabile Verhältnisse in allen umliegenden Staaten. Doch um festzustellen, dass Massenmorde und Fundamentalismus kein Alleinstellungsmerkmal der Region sind, dafür genügt ein Blick nach Norwegen oder in die USA oder eben aktuell nach Neuseeland. Trotzdem haben wir andere Erwartungen, wenn wir in eine Theatervorstellung gehen, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigt, als, sagen wir, eine über Australien. Zu tun hat das vor allem mit den dominanten Narrativen in der westlichen Unterhaltungsindustrie über bestimmte Geografien, vereinfacht gesprochen: fröhlich hüpfendes Känguru versus bärtiger Selbstmordattentäter.
„Als Solokünstlerin würde ich niemals ein Stück über den Nahen Osten machen“, sagt Lee Meir. Die Gruppe nickt, würde wohl niemand. Zu acht aber scheint es was anderes zu sein, immer wieder fallen die Worte „multiplicity of voices“ (zu Deutsch: „Vielstimmigkeit“) während unseres Gespräch zwischen den Proben zu „Across the Middle, Past the East – an unsettled Cabaret“, das diese Woche in den Sophiensälen aufgeführt wird. Schon im Titel wird mit der (Fremd-)Bezeichnung „Middle East“ gespielt, die Ankündigung spricht von „Geflechten aus Kulturen, Nationen und Identitäten“. Wer allerdings meint, eine Lektion über die Geschichte des Nahostkonflikts zu bekommen, wird enttäuscht aus dem Raum spazieren. Und das ist auch gut so.
Lee Meir ist freie Choreografin aus Jerusalem, lebt seit 2010 in Berlin. Sie hat das Stück gemeinsam mit Roni Katz produziert, ebenfalls freie Choreografin aus Jerusalem, seit acht Jahren in Berlin. Ihre Gruppe, die keinen Namen hat und sich als temporäres Kollektiv bezeichnet, besteht aus sechs weiteren Frauen, die Autorinnen, Musikerinnen, Performerinnen sind, aus Syrien, Jordanien, Palästina und Deutschland stammen. „Allein, dass wir zusammen auf einer Bühne stehen, gleichberechtigt, performen – das ist schon ein politischer Akt. Und vielleicht ist das gerade auch nur in Berlin möglich“, sagt Fulvia Dallal, während sie an einem grün betuchten Tisch immerzu ihre Spielkarten mischt.
Die Form des Kabarett eröffne ihnen die Möglichkeit, erzählt die Gruppe, ein gemeinsames Werk zu schaffen, ohne zwanghaft einer kohärenten Ästhetik, einem einzigen Stil zu folgen. Das Kabarett definiert sich über die Abfolge verschiedener Nummern, unterschiedlicher Kunstformen. Es wird gesungen, es wird erzählt, es wird getanzt. Da ist Autorin Sirine Malas, die aus ihrem Romanmanuskript rezitiert, auf Arabisch und so kraftvoll, dass es egal ist, ob man die Sprache versteht oder nicht. Da ist Rasha Nahas, die mit E-Gitarre und rauem Gesang ihr Gegenüber zum Weinen auffordert, ja es regelrecht befiehlt.
Performerin Enana führt als MC durch den Abend, Spoken-Word-Artist Moona Moon begrüßt die Gäste am Eingang um ein paar Hinweise zur Veranstaltung vorab zu geben. Das Publikum, das bestenfalls Englisch verstehen sollte (es wird in fünf Sprachen gesprochen, allerdings größtenteils Englisch) darf Schnaps trinken, Erdnüsse essen, sich involvieren. Aber: „Es ist gar nicht so einfach, das Publikum miteinzubeziehen“, findet Roni Katz, die normalerweise im Contemporary Dance zu Hause ist. „Allein der Ort, die Sophiensäle, ist durch bestimmte Verhaltenscodes geprägt, die das Publikum verinnerlicht hat. Aber auch ich habe sie in mir drin: normalerweise performe ich frontal, und das Publikum sieht zu, still und passiv. An diesen Kabarettabenden versuchen wir das Ganze aufzulösen.“
Kulturgut Kabarett
Während in Deutschland das Kabarett häufig mit der Weimarer Republik assoziiert wird, gilt dieses Theatergenre in arabischsprachigen Ländern vor allem als ein Kulturgut aus Ägypten. Was das Kabarett aber in allen Fällen auszeichnet, ist eine eher antielitäre Haltung, dazu der Entertainment-Faktor sowie glitzernde Fummel und Sexappeal. Dieses „unsettled cabaret“ (zu Deutsch: unbesiedeltes Kabarett) spielt damit, aus einer queerfeministischen Perspektive: So performt Roni Katz etwa eine Burlesque-Nummer, in der nur die Orange in ihrer Hand die Hüllen fallen lässt, und Erotik vor allem eine verbal formulierte Fantasie bleibt, in der nackte Körper gegen Nationalismus protestieren.
Auch Orientalismus spielt eine Rolle, der westliche Blick, wird vorgeführt, lächerlich gemacht, die Klischees werden reclaimed und subvertiert. „Nur dieses ‚Ach toll, Israelinnen und Palästinenserinnen kommen zusammen!‘-Schema wollen wir auf keinen Fall bedienen“, betont Soundkünstlerin Miranda de la Frontera. Stattdessen geht es darum, neue Erzählungen zu kreieren über eine mit Stereotypen und Projektionen überladene Region. So werden historische und mythologische Frauenfiguren beschworen, etwa Raya und Sakina. Die beiden ägyptischen Schwestern waren Serienmörderinnen, die durchs Land zogen und reiche Frauen niedermetzelten und ausnahmen.
Spoken-Word-Artist Moona Moon sagt, dass sich das Stück zwar schon gegen patriarchale Strukturen richte, aber eben kein machtfreier Raum imaginiert werde: „Es ist wichtig, dass wir uns auch die Privilegien innerhalb unserer Gruppe immer wieder bewusst machen. Ja, wir sind alle Frauen. Aber ich bin deutsche Staatsangehörige zum Beispiel. Es gibt Leute in dieser Gruppe, die ohne Papiere nach Deutschland eingewandert sind. Wir können uns nicht miteinander solidarisieren, wenn wir das unsichtbar machen.“