: Mit Broschüren gegen Terrorismus
TERRORPRÄVENTION Experten kritisieren, Deutschland betreibe keine gezielte Deradikalisierung von Islamisten. Tatsächlich scheint ein schlüssiges Konzept nicht zu existieren. Das Bundesinnenministerium erteilt der Zusammenarbeit mit Extremisten eine klare Absage
VON DANIEL SCHULZ
Das Bundesinnenministerium lehnt eine Zusammenarbeit mit Islamisten bei der Terrorprävention ab. „Eine staatliche Förderung von Extremisten ist ausgeschlossen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums, „auch wenn sie sich gegen Gewalt aussprechen.“
Derzeit diskutieren deutsche Sicherheitsbehörden und Politiker über sogenannte Deradikalisierungsprogramme für muslimische Extremisten (taz vom 20. 10. 09). Ein Vorbild dabei könnten entsprechende staatlich geförderte Programme in Großbritannien sein, bei denen ehemalige Islamisten oder muslimische Geistliche versuchen, junge radikale Muslime von der Gewalt fernzuhalten. Einige dieser Imame lehnen jedoch Demokratie und die Trennung von Staat und Religion ab. Der Islamwissenschaftler und ehemalige Terrorismusreferent im Kanzleramt, Guido Steinberg, hatte angeregt, über solche Modelle auch in Deutschland nachzudenken, weil die radikalen Imame Respekt bei den gefährdeten Muslimen genössen. Das Innenministerium erteilt diesem Ansinnen jedoch eine klare Absage.
Steinberg, der für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin arbeitet, kritisiert ebenso wie der Radikalisierungsforscher Peter Neumann vom Kings College in London, die bisherigen deutschen Versuche, junge Muslime von der dschihadistischen Szene fernzuhalten oder sie wieder herauszuholen. „Die deutschen Präventionsmaßnahmen sind sehr breit angelegt und wenig zielführend“, sagt Steinberg. „Hier muss sich dringend etwas ändern, wir müssen sehr viel näher an die Leute heran, die wirklich das Problem darstellen.“
Und mit dieser Kritik scheint Steinberg nicht falsch zu liegen. Nach konkreten Maßnahmen bei der Terrorprävention gefragt, schickte das Bundesinnenministerium ein dreiseitiges Papier. Darin erklärt die Behörde, man favorisiere „einen ganzheitlichen Präventionsansatz“, der möglichst weit vor der Entstehung extremistischer Ansichten ansetze – mit der „Förderung der Sprache und Bildung, Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenzen“. Dann verweist das Ministerium auf Broschüren von „Schule ohne Rassismus“ und der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema Islamismus, daneben fördere die Bundeszentrale auch Projekte zur Imamfortbildung.
In Gefängnissen arbeite der mit Bundesmitteln geförderte Verein Violence Prevention Network mit Insassen, die ihre Straftaten mit extremistischen Motiven begründen. „Allerdings haben wir es hier weniger mit Terrorismus als mit Banlieue-Situationen zu tun“, sagt Ulrich Dovermann, der das Konzept mit entwickelt hat und seither wissenschaftlich begleitet. „Es handelt sich beispielsweise um Jugendliche, die jemandem totgeschlagen oder schwer verletzt haben und dann ihre Tat mit religiösen Motiven rechtfertigen.“
Zudem führt das Bundesinnenministerium noch die Bund-/Länderarbeitsgruppe zur Prävention des islamistischen Extremismus und Terrorismus an, nennt jedoch keine konkreten Ergebnisse ihrer Arbeit.
Und zu guter Letzt erwähnt das Papier die Islamkonferenz. Deren Arbeitskreis „Sicherheit und Islamismus“ habe sich umfassend mit dem Thema Radikalisierungsprävention befasst. Nicht mit konkreten Ergebnissen. Das Papier endet mit dem Satz: „In der kommenden Legislaturperiode soll das Thema Deradikalisierung […] vertieft werden.“
Doch nicht nur im Bund seien die Maßnahmen wenig effektiv, moniert Radikalisierungsforscher Neumann: „In den Ländern passiert unterschiedlich viel, und das sehr unkoordiniert.“
Im August trafen sich die Innenminister der von der Union regierten Länder und versprachen in einer „Chemnitzer Erklärung“, mehr auf Prävention zu setzen und Aussteigerprogramme für Islamisten zu entwickeln. Hessen forciert dies tatsächlich: „Wir arbeiten an einem Präventionsansatz, an dessen Ende ein qualifiziertes Aussteigerprogramm stehen könnte“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Dienstag. Aus dem rot-rot regierten Berlin heißt es dagegen, bei der Chemnitzer Erklärung handele es sich, „um ein in Wahlkampfzeiten erarbeitetes Papier“ von Unions-Innenministern „mit einem Sammelsurium unterschiedlichster Themen“. Terrorprävention sei Aufgabe der Sicherheitsbehörden, und Berlin sei gut aufgestellt.