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Archiv-Artikel

Filme von der Moldau

LÄNDERSCHAU Tschechische Filmschaffende finden in ihren Filmen ungewöhnliche neue Zugänge zur jüngeren Geschichte ihres Landes. Sechs davon präsentiert „Czech on tour“

VON GASTON KIRSCHE

Fünf Spielfilme und eine Langzeitdokumentation gibt es jetzt im Rahmen des vom tschechischen Filmzentrums organisierten Programmes „Czech on tour“ zu sehen.

„Lidice“ ist ein Film über das gleichnamige Dorf, das durch seine Vernichtung durch die deutsche Wehrmacht am 10. Juni 1942 weltbekannt wurde. Zwei Wochen zuvor hatten Widerstandskämpfer ein erfolgreiches Attentat auf den über Tschechien herrschenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich verübt. Die Deutschen versuchten in einer beispiellosen Kampagne, der Attentäter habhaft zu werden. Sie nahmen Geiseln, erschossen diese, weil die Attentäter nicht denunziert wurden. Dann wurde angeblich ein Beweis dafür gefunden, dass die Widerstandskämpfe in Lidice untergekommen waren, unterstützt worden waren. Daraufhin wurde Dorf dem Erdboden gleich gemacht. Alle Männer, die sich im Ort befanden, wurden an Ort und Stelle erschossen, alle Frauen ins KZ Ravensbrück verschleppt, und beinahe alle Kinder wurden im polnischen Lodz vergast. Nur einige nach dem nationalsozialistischen Rassenwahn als arisch selektierte Kinder wurden nach Deutschland verschleppt.

Der Regisseur Petr Nikolaev, dessen Großvater im Zuge der Geiselerschiessungen nach dem Attentat auf Heydrich ebenfalls hingerichtet wurde hat sich für seine Erzählung dieses Massakers sehr überzeugend für eine Darstellung aus der Perspektive dreier Dorfbewohner entschieden.

Mit der noch jüngeren Geschichte beschäftigt sich die Langzeitdokumentation „Manželské etudy, po 20 letech“, Hochzeitsgeschichten, 20 Jahre später. Die Regisseurin Helena Teštíková begann 1980, frisch verheiratete junge Paare zu filmen. Ivana & Václav ist eine von 6 Langzeitbeobachtungen. Anfang des neuen Jahrtausends hat Helena Teštíková das paar wieder gefilmt. Jetzt in Farbe, früher in schwarz-weiß. Dieser Farbwechsel erscheint nahezu nebensächlich angesichts der wechselvollen Lebensumstände. Aber ist jetzt im realen Leben wirklich alles anders durch den Systemwechsel? Wo wir 1980 ein junges verliebtes Pärchen mit ihrem ersten Kind in einer kleinen ersten Wohnung sehen, beide studieren Architektur, haben sie sich 2000 ein eigenes, lichtdurchflutetes Einzelhaus für sich und ihre mittlerweile fünf Kinder gebaut - erfolgreicher Mittelstand. Aber die Stadtverwaltung stellt sich bei Bauprojekten quer, und der zweitälteste Sohn, Martin, bereitet den Eltern Sorgen: Er verweigert sich, trinkt schon morgens vor der Schule Bier.

So würde Martin gut in zwei der gezeigten Spielfilme passen, in denen es um die Verweigerung von Jugendlichen in den 70er Jahren gegen das „bolschewistische Scheißloch“ Tschechoslowakei geht. Den in den Filmen geht es vor allem gegen Autoritäten jeder Art: LehrerInnen, Eltern, Polizei, Militär. Das Bier fließt in Strömen, es wird geraucht ohne Ende, hochprozentiger Alkohol wird in sich hinein gekippt. Es sind die Jahre kurz vor Punk - lange Haare, Rockmusik aus dem Westen. Zwei Verfilmungen in Tschechien vielgelesener Romane.

In „Obanský prkaz“, Personalausweis, bekommen vier Jungs ihre Personalausweise ausgehändigt - in ein paar Jahren müssen sie zum zweijährigen, obligatorischen Wehrdienst. Dem Regisseur Ondej Trojan ist ein gut erzählter coming-of-age-Film gelungen. “ ... a bude h“ .und es kommt noch schlimmer, kommt heftiger von der Leinwand: Regisseur Petr Nikolaev, den wir schon von „Lidice“ kennen, hat eine Ästhetik gewählt, die nahezu dokumentarisch wirkt: alles Schwarz-weiß, die Kamera immer nah dran an den ProtagonistInnen. Die sind alle mindestens zehn Jahre älter als in „Obanský prkaz“, echte Hippies. AussteigerInnen. Die Verhaftungen durch die Polizei sind konfrontativer, der Drogenkonsum entgrenzter.

Als einer von ihnen beerdigt wird, bestehen sie auf einem eigenen Ritual, ohne Trauerredner im Anzug. Sie singen It‘s a Long Way to Tipperary, und darin drückt sich ihre Hoffnung darauf aus, dass es im Westen alles besser ist. Aber warum singen sie ein Soldatenlied, wenn sie gegen Wehrdienst sind? Über diese Frage deckt der Film den - obligatorischen- Parka.

Sa - Do , Metropolis, Kleine Theaterstraße 10, Hamburg. Infos: www.metropoliskino.de