der rote faden: Wie die Kids, die vor lauter Coolness nicht tanzen können
Durch die Woche mitAriane Lemme
Es ist mal wieder Berlinale, und niemand geht hin. Na ja, nicht niemand, aber niemand, den ich kenne. Ich selbst sowieso nicht, das bin ich schon in den vergangenen fünfzehn Jahren, die ich in Berlin lebe, immer nur unter Zwang (jemand halbwegs vertrauenswürdiges hat mir Karten geschenkt, und ich hatte nichts Besseres vor).
Warum? Liest man das Programm, geht’s um das Immerselbe: zerfallende Familien, DDR und Migration und natürlich die übliche „Israelkritik“, diesmal in Form von Yuval Adlers Film „The Operative“, der den Mossad als die verruchte Verschwörertruppe darstellt, als die ihn Verschwörungstheoretiker und Antisemiten gern sehen wollen.
Das ganze Dilemma mit der Berlinale am besten auf den Punkt gebracht hat es das geniale Quiz eines Kollegen hier in der taz am wochenende. Neun kurze Beschreibungen von sperriger Larmoyanz, welche davon ist tatsächlich ein Berlinale-Beitrag, welche ausgedacht? Unmöglich zu erraten, schon bei Nummer zwei war ich in ein Koma aus Langeweile gefallen.
Wobei diese gewollte, gekünstelte Gewichtigkeit, mit der – immer schön eins zu eins, immer schön nah dran am tristen Alltag des normalen Lebens – schwere Themen beackert werden, keine Spezialität der Berlinale ist. Auch die Festivals im Super-Kunstjahr 2017 (documenta 14, Biennale von Venedig) trieften schon davon. In ihrem politischem Über-Bewusstsein erinnerten sie an die Kids im Club, die vor lauter Coolness nicht tanzen können. Man könnte sich ja blamieren. Kann die Kunst nicht mehr mehr als das Offensichtliche erklären, oder kann ich sie einfach nicht mehr verstehen? Oder gilt es schon als Eskapismus, wenn man hofft, dass die Kunst höhere Zusammenhänge besser erklärt, als es Nachrichten und Reportagen tun?
Aber ich will nicht ungerecht sein, es gibt sie bestimmt, die absurden, spielerischen, abwegigen Filme, solche, die leichtfüßig und urkomisch vom ganz Großen erzählen. Auch auf der Berlinale. Um das herauszufinden, müsste ich natürlich hingehen.
Zeit hätte ich gehabt, ich wohne ja nicht mehr in Bayern und konnte also auch nicht ausziehen, die Bienen zu retten. Das haben die im Rest des Landes so verhassten Bayern aber eh allein hinbekommen. Jeden zehnten Wahlberechtigten bei Wind und Wetter zum Gang ins Rathaus zu bewegen, sei keine Kleinigkeit, heißt es. Ja mei. Die meisten dürften mit dem BMW vorgefahren sein. Vermutlich derselbe, mit dem sie hinterher über die Autobahn nach Lenggries oder Garmisch gebrettert sind zum Skifahren. Deshalb kann ich die grantelnden Bauern schon ein bisschen verstehen, wenn sie sagen, an ihnen allein scheitere es nicht mit der Artenvielfalt. Solange die Leute nicht bereit – oder auch schlicht finanziell nicht in der Lage – sind, mehr für Milch, Eier und Fleisch auszugeben, die tatsächlich nachhaltig produziert sind, kann sich auch nicht so viel ändern. Oder solange die Leute zwar Bio kaufen wollen, aber bitte möglichst billig. Es schadet der Artenvielfalt auch, wenn immer mehr Flächen versiegelt, also bebaut, wenn Skigebiete erschlossen, Straßen gebaut werden.
Ich will keine Glyphosat spritzenden Bauern in Schutz nehmen (die sich ja auch nicht weniger im Recht sehen als die Volksbegehrenden), aber dieses Schwarz-Weiß-Denken nervt. Bald jede Diskussion läuft auf eine Freund-Feind-Argumentation hinaus, ob bei Bienen und Bauern, Bayern und Bundesbürgern, Auto- und Radfahrern, Abtreibungsgegnern und FeministInnen.
Bewegung scheint überhaupt nur noch möglich zu sein, wenn es einen Erzfeind gibt. Klar, erst gegenüber einem Gegner, an dem man sich abarbeiten kann, schärfen sich manchmal die eigenen Argumente. Und keine Frage: Reaktionäre und Idioten gibt es mehr als genug, und niemand sollte sich deren kindischen Willen aufzwingen lassen müssen.
Es gibt halt aber auf der Skala von progressiv bis repressiv auch viel dazwischen – nur eben nicht immer eine scharfe Grenze, deren Überschreiten jeden potenziell Verbündeten zum klaren Feind macht. Peinlich ist es, wenn die Bauern in Garmisch-Partenkirchen drohen, jeden „öffentlich zu ächten“ (Mittelalter, oder was?), der für die Bienen unterschreibt. Aber die meisten Debatten auf Twitter laufen nach ähnlichem Prinzip ab, nur halt hipper und mit akademischerem Sprachgebrauch.
Sorry, aber die Welt ist filigraner und komplexer, als es sich mit dem Holzhammer nachzeichnen lässt – in der Kunst wie in der Politik. Schöner würde es in beiden Sphären, wenn die Dinge in größeren Zusammenhängen und nicht nur in den jeweils für sie vorgesehenen Vorgärten gedacht würden. Und sich jeder öfter mal selbst, im Feldversuch quasi, ein Bild von der anderen Seite machen würde. Vielleicht muss ich nächstes Jahr doch mal wieder auf die Berlinale.
Nächste Woche Robert Misik
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