Zivilklausel, Viertelparität,…? Kann alles weg!

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen will ein neues Hochschulgesetz. Der derzeitige Entwurf sieht vor allem Streichungen bisheriger Regeln vor. Was sagen Studierende und Opposition zur geplanten Deregulierung?

Aus Köln Anett Selle

Wieder ein Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen! Das Vorletzte kam 2007, von CDU und FDP. Das aktuelle kam 2014, von SPD und Grünen. Nun, unter CDU und FDP, soll wieder eins kommen. Diesen Donnerstag soll der von der Landesregierung beschlossene Entwurf dem Landtag zur ersten Lesung vorgelegt werden. Was sich laut dem aktuellen Entwurf ändern würde, lässt sich kaum vorhersagen. Denn das geplante Gesetz besteht vor allem aus Streichungen bislang verbindlicher Vorgaben und diversen – unverbindlichen – Vorschlägen. Ein Überblick.

Mehr Gewalt, weniger Umweltschutz

Das Gesetz streicht die Zivil- und Nachhaltigkeitsklausel ersatzlos. Aktuell schreibt diese Klausel Hochschulen eine Selbstverpflichtung vor: für friedliche Zwecke sowie mit Bedacht auf Nachhaltigkeit und Umwelt zu forschen. Matthi Bolte, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen NRW, kritisiert das: Die Klausel sei für die Hochschulen richtungsweisend. „Vor zwei Jahren hätte sich die RWTH Aachen für ein Forschungsprojekt fast am Bau einer Panzerfabrik in der Türkei beteiligt. Vor der Zivilklausel wäre das vielleicht durchgegangen. Aber da ist die RWTH zu dem Schluss gekommen: ‚Das machen wir jetzt nicht.‘“

Katrin Lögering engagiert sich im Landes-ASten-Treffen, einer landesweiten Interessenvertretung der Studierendenschaft NRW. „Ich komme aus der Chemie“, sagt sie. „Da haben wir Pflichtpraktika: Die muss man machen. Wenn eine Uni militärisch forscht, kann es sein, dass Studierende da Substanzen kochen, die dann für die Waffenentwicklung verwendet werden.“ Dass die Vorgabe an die Hochschulen wegfallen soll, zum demokratischen Miteinander der Gesellschaft beizutragen, könne die Studierendenschaft nicht verstehen, sagt Löring. „Warum man so was streicht, erschließt sich uns nicht.“ Laut Entwurf können Hochschulen, sich weiterhin zur Klausel verpflichten, wenn sie mögen.

Mehr Anwesenheitspflicht

Aktuell ist Anwesenheitspflicht an Hochschulen grundsätzlich verboten. Ausgenommen sind Veranstaltungen, in denen Leistungsnachweise und Prüfungsergebnisse zu erbringen sind, beispielsweise Laborpraktika. Die Einführung dieser grundsätzlichen Anwesenheitsfreiheit durch SPD und Grüne war ein Kompromiss. „Wir Studierenden verstehen, dass es Anwesenheitspflicht in gewissen Bereichen geben muss“, sagt Löring. „Aber wir wehren uns, wenn sie benutzt wird, um didaktische Katastrophen zu tarnen.“ Früher hätten diejenigen DozentInnen, deren Veranstaltungen leer blieben, sie oft mit Anwesenheitspflicht belegt. „Das eigentliche Problem ‚Gute Lehre’ war damit vom Tisch.“ Das gesetzliche Verbot der Anwesenheitspflicht streicht der aktuelle Entwurf.

Weniger Augenhöhe

Wie so vieles, muss jede Einschränkung der Anwesenheitsfreiheit in Hochschulgremien gerechtfertigt werden, in denen auch Studierende sitzen. Aktuell regelt die sogenannte Viertelparität, dass die vier Statusgruppen – also Studierende, ProfessorInnen, wissenschaftliche MitarbeiterInnen sowie Angestellte in Technik und Verwaltung – den Senat und die Gremien gleichermaßen besetzen. Diese Verpflichtung zur Parität streicht der aktuelle Entwurf. „Das könnte direkt dazu führen, dass einige Statusgruppen in den Senaten wieder übergangen werden“, sagt Löring. „So war es vor dem aktuellen Gesetz.“ Das schreibt den Hochschulen die Parität zwar vor, lässt aber offen, wie sie sie umsetzen. „Jede Hochschule hat sich ihr eigenes Modell gebaut“, sagt Löring. Ob Hochschulen die Parität beibehalten, falls die gesetzliche Grundlage wegfällt, ist offen.

Mehr Leistungsdruck

Der Gesetzentwurf beschreibt Methoden, mit denen Hochschulen die Studienabbrecherquote reduzieren könnten – wenn sie wollen. Studierende würden beispielsweise Vereinbarungen über ihren Studienverlauf unterschreiben: Nach der Hälfte des Studiums müssten sie ein Drittel der Credit Points gesammelt haben. Für den Fall, dass sie das nicht schaffen, sind verpflichtende Beratungen vorgesehen. Wie die Hochschulen diese Pflichtberatungen organisieren könnten, lässt der Entwurf offen: Aktuell warten Studierende schon monatelang auf freiwillige Termine bei den Studienberatungen.

Sanktionen schlägt der Entwurf indirekt vor. „Dass man automatisch zu Prüfungen angemeldet wird, wenn man die Credit Points nicht zusammenbekommt, würde zu Exmatrikulationen führen“, sagt Löring. „Für die, die arbeiten gehen oder Kindern haben, wäre dieses Vorgehen hart.“ Ob die Hochschulen den gesetzlichen Vorschlag aufgreifen, bleibt ihnen überlassen.

Mehr Hürden vor der ­Einschreibung

Laut Entwurf könnten Hochschulen auch Onlinetests für Studieninteressierte anbieten. Das Ergebnis selbst hätte keine Auswirkung auf die Immatrikulation: aber, ob man den Test gemacht hat. Auch hier überlässt es der Entwurf den Hochschulen, ob sie den Vorschlag aufgreifen.

Mehr Zuständigkeiten der Hochschulen

Der Entwurf reduziert die Zuständigkeit des nordrhein­westfälischen Wissenschaftsministeriums weitgehend auf eine reine Rechtsaufsicht. Bisherige Mechanismen zur Steuerung der Hochschulen durch das Land entfallen: Rahmenvorgaben, Hochschulentwicklungsplan, Vorgaben für die Hochschulplanung. Auch Bauvorhaben dürfen die Hochschulen laut Entwurf selbstständig angehen. Insgesamt zögen sich CDU und FDP mit dem Entwurf weit zurück, sagt Matthi Bolte von den Grünen. „CDU und FDP nehmen die Verantwortung des Landes für seine Hochschulen nicht wahr.