Legende in Leder und Sport-Outfit

Viel Rock ’n’ Roll, auffallend wenig Sex: Oliver Schwabes „Asi mit Niwoh“-Porträt des Kölner „Erfinders“ des deutschen Punk Jürgen Zeltinger

Jürgen Zeltinger beim „Affrocke“ Foto: Mindjazz

Von Lars Fleischmann

Der Hamburger Regisseur Oliver Schwabe, der schon lange in Köln lebt, hatte gerade in seiner Wahlheimat sein neustes Werk, „Asi mit Niwoh“, beim Filmfestival Cologne vorgestellt, die Menschen applaudierten, doch weniger für den Film – für den auch – als vielmehr für den Protagonisten: Jürgen Zeltinger ist eine Figur von tausend Geschichten, viele davon stimmen, einige nicht, andere bleiben auch hier unerzählt. In „Asi mit Niwoh“ darf man sich nun selbst ein Urteil bilden. Schwabe folgte dem Punk-Schwergewicht zwei Jahre lang – und serviert als Produkt eine typisch „kölsche“ Musik-Geschichte.

Zeltinger, in den 60ern auf den Straßen der Domstadt sozialisiert, kommt wie eine Personifizierung seiner Heimat daher: Roh, rockig, gar punkig, zog die „Plaat“ (kölsch für Glatze) um die Häuser, nahm es selten mit dem Gesetz so genau und mischte die Nacht- und Unterwelt auf. Als Köln noch „Chicago am Rhein“ genannt wurde, Zuhälter und zwielichtige Gestalten allerorten das Sagen hatten, konnte man mehr mit der Faust denn mit Argumenten überzeugen. Und zuschlagen konnte Jürgen.

Wen wundert es, dass Anton Claaßen, Rotlichtlegende und als „Langer Tünn“ mittlerweile auch bundesweit bekannt, ein Jugendfreund ist – und hier als Stichwortgeber und Geschichtchen-Erzähler auftritt. Doch nicht allein die Zuhälter-Legende kommt zu Wort, sondern auch andere Weggefährten, unter denen Heiner Lauterbach der bekannteste sein sollte.

Es werden – wie üblich – der Werdegang nacherzählt, die Wichtigkeit des Sängers bezeugt und die ein oder andere Anekdote zum Besten gegeben. Die meisten handeln von viel Rock ’n’ Roll, noch mehr Alkohol und auffallend wenig von Sex. Das verwundert insofern, als sich Zeltingers Popularität auch aus seinem revolutionär-offenherzigen Umgang mit der eigenen Homosexualität ergab. Derweil die wichtige Rolle Zeltingers in der „Erfindung“ des deutschen Punk hervorgehoben wird, wird die ikonische Verehrung in der alten bundesrepublikanischen Schwulenszene weitestgehend suspendiert.

Musik(er)-Dokumentatio­nen leiden meist unter der häufig formelhaften und gleichförmigen Darstellung des Objekts: ein paar aktuelle Aufnahmen, Talking Heads und Archivfunde. Diesen Zirkel vermag auch Schwabe nicht wirklich zu durchbrechen. Auch hier darf sich ein fast Siebzigjähriger über die Veränderungen des Musikbusiness beschweren („Mit Platten macht man keine Kohle mehr“), zeigen, dass er auch ganz anders sein kann, und wirklich jeder immer wieder betonen, was für eine Legende Jürgen Zeltinger nun war und ist. So weit, so bekannt.

Das Besondere dieser Dokumentation ist mehr der Spielort selbst als ihr augenscheinlicher Protagonist. Köln ist keine bürgerliche Stadt, auch wenn sie es gerne wäre. Wohlwollend verweist man auf seine über 2.000 Jahre alte Geschichte, auf die kurzen Momente der Bedeutung und vergisst jahrhundertelange Zweitklassigkeit. Auch heute noch wähnt man sich im Rang einer Weltstadt. Dabei ist eine proletarisch-zwielichtige Gestalt wie Zeltinger viel näher an der kölnischen Realität als etwaige hochkulturelle Bauten wie Museen oder Opern.

Weder im selbstzerstörerischen Berlin der Siebziger noch in der Schickeria der Münchner Disko-Zeit hätte diese lebensbejahend-hedonistische, schwitzend-schwule Gestalt in Leder und Sport-Outfit groß werden können. Schwabes Filme erzählen weit häufiger und mehr über die Zu- und Umstände des Musikmachens als über die Mu­­­siker*innen selbst. Das macht die Filme so überzeugend sympathisch, wenn auch weder heiße Eisen noch sonderlich Brisantes ausgekramt werden.

„Asi mit Niwoh – Die Jürgen Zeltinger Geschichte“. Regie: Oliver Schwabe. Deutschland 2018, 90 Min.