Warum ich nicht mehr hingehe

Wie gehen Künstler mit Medientechnologien um? Das wäre eine Frage, die die transmediale interessieren müsste. Doch dem Medienkunstfestival ist unter Kristoffer Gansing der Gegenstand abhandengekommen

Rory Pilgrim, Software Garden, 2018. Courtesy of the artist and andriesse-eyck galerie Foto: Transmediale

Von Tilman Baumgärtel

Das Berliner Medienkunstfestival transmediale zeigt in diesem Jahr keine Ausstellung. Stattdessen wird bei diversen Panels und Podiumsdiskussionen da­rüber diskutiert, welche Rolle Gefühle und Empathie in der digitalen Kultur spielen. Eine Keynote bezieht sich auf „Formen der Langeweile in prekären Zeiten, Gefühls-Infrastrukturen und die gegenwärtige Politik“. Soso.

Dem ­unvoreingenommenen Beobachter mag es seltsam vorkommen, dass eine Kunstveranstaltung praktisch ohne ausgestellte Kunst auskommt. Doch in diese Richtung hat Festivalleiter Kristoffer Gansing die transmediale seit seinem Amtsantritt 2012 systematisch gesteuert: Aus einer Ausstellung mit diskursivem Beiprogramm wurde eine Diskursveranstaltung mit beigefügter Kunst – oder eben auch ohne Kunst. Denn es ist nicht das erste Mal, dass die transmediale auf eine Ausstellung verzichtet, als handle es sich um etwas irgendwie Degoutantes.

2013 veranstaltete man im Ausstellungssaal im Haus der Kulturen der Welt, wo das Festival stattfindet, lieber einen ­Hackathon, bei dem Bastler aus der ganze Welt an ihren Technikprojekten schraubten. Und 2015 machte schon das Festivalmotto „Conversationpiece“ (Konversationsstück) klar, dass das Reden gegenüber der bildenden Kunst im Vordergrund stand, eine Ausstellung entfiel abermals.

Es handelt sich also nicht um ein einmaliges Ausscheren, das die eingespielte Routine des Festivals produktiv stören soll, wie wohlmeinende Interpreten das Verweigern einer Ausstellung verstehen wollen. Eher hat die transmediale unter Kristoffer Gansing durchgehend den Eindruck erweckt, dass sie auf die Präsentation von sinnlich erfassbarer Kunst eigentlich gut verzichten kann oder diese als lästige Pflicht ansah, die man am besten externen Kuratoren überantwortet.

Ich finde das schade. Denn ich würde die Kunst, die die transmediale zeigen könnte, gerne sehen. Aber im diesjährigen Programm finde ich nichts, was mich dazu bewegen würde, mich durchs winterlich kalte Berlin ins Haus der Kulturen der Welt zu bewegen.

Dabei bin ich quasi die Definition der Zielgruppe der transmediale. Seit ich vor 20 Jahren ein Buch über Kunst im Internet geschrieben habe, interessiere ich mich dafür, wie Künstler mit Medientechnologien umgehen. Wie sie die Grenzen der Technik ausreizen oder diese wie Hacker knacken. Wie sie Medien gegen ihre scheinbar unhintergehbare Nutzungslogik einsetzen. Wie sie aus dem angeblich objektiven und alternativlosen Funk­tionieren der Maschinen die eingeschriebene Ideologie herauspräparieren.

Viele dieser Arbeiten verzichten dabei auf ihre Materialisierung im Ausstellungsraum und sind tatsächlich schwer präsentierbar. Sie finden im Netz oder in einer App oder als Oberflächenfunktion der Blockchain statt; ihre mediale Rezeption kann für die Wirkung solcher Arbeiten relevanter sein als ihre physische Existenz. Genauso viele Werke der aktuellen Medienkunst können aber problemlos ausgestellt werden oder funktionieren sogar nur im Raum einer Galerie oder eines Museums.

Wenn man sie dort zeigt, ist das eine Einladung, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, die Möglichkeit, einen Diskurs zu beginnen. Das Projekt der transmediale, die Debatte unter Experten auf den verschiedenen Bühnen im Haus der Kulturen der Welt zu monopolisieren, ist darum eine Stück weit auch eine Entmündigung des Publikums.

Und so verläuft es nach dem immer gleichen, müden Ritual: Panel nach Panel werden Powerpoint-Präsentationen heruntergespult, auf deren Gestaltung oft große Mühe verwendet wurde; sollte es sich um ein „Diskussion“ handeln, kommen weitere Sprechende hinzu, und man wechselt sich ab mit Überleitungen wie „Thanks for the great talk“ und „You just made an excellent point“. Bedingt durch den zunehmenden Sauerstoffmangel in den gut besuchten, mollig warmen Konferenzsälen, werden beim Zuhören irgendwann die Augenlider schwer. Nach drei Fragen aus dem Publikum ist dann Schluss, weil man die Bühne für das nächste Panel räumen muss, aber wir können uns ja draußen weiter unterhalten.

Ganz anders macht es CTM, das hyperaktive „Schwesterfestival“, das einst als Abendveranstaltung mit dem Namen „club transmediale“ aus dem Medienkunstevent hervorgegangen ist. Sage und schreibe sechs Ausstellungen an verschiedenen Orten der Stadt sorgen dafür, dass das Festival auch jenseits seiner Zielgruppe zur Kenntnis genommen wird und immer weitere Kreise zieht. Die spektakuläre Installation „Skalar“ im Kraftwerk Mitte sahen im vergangenen Jahr 40.000 Leute – und das, obwohl sich CTM bis vor Kurzem von Jahr zu Jahr mit Förderung aus immer anderen Töpfen durchhangeln musste.

Die transmediale hingegen wird von der Bundeskulturstiftung mit einem regelmäßigen Budget bedacht. Nicht auszuschließen, dass man sich dort angesichts der anämischen Präsentation früher oder später überlegen wird, ob man weiterhin eine Veranstaltung unterstützen will, der ihr Gegenstand offenbar völlig abhandengekommen ist. Man will Kurator Gansing nicht unterstellen, dass ihm die Zukunft des Festivals gleichgültig ist und er es sich deswegen leicht macht. Aber es ist schon so, dass seine Amtszeit 2020 endet und etwaige Konsequenzen seiner Verweigerungshaltung ein Nachfolger ausbaden muss.

Sollte 2021 unter neuer Leitung wieder Kunst beim Medienkunstfestival zu sehen sein, dann ginge ich auch wieder hin.

Transmediale bis zum 3. Fe­bru­ar 2019 im Haus der Kulturen der Welt