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Ein Echo bleibt im Körper

Tusch: Heute Abend beginnt das Festival CTM. Zur 20. Ausgabe hat man sogar öffentliche Förderung eingeheimst. Die Geschichte eines weiten Wegs, der 1999 in Mitte begann

Von Tilman Baumgärtel

19 Jahre hat es gedauert, bis der Club Transmediale (CTM) erstmals eine längerfristige Förderung durch die Stadt Berlin erhalten hat. Bisher hangelte sich das Berliner Festival für experimentelle und elektronische Musik mit Mitteln aus wechselnden Fördertöpfen von Jahr zu Jahr. Doch nun, rechtzeitig zum zwanzigjährigen Jubiläum, wird die Veranstaltung, die im letzten Jahr 35.000 Besucher anzog, erstmals mit Mitteln aus der spartenoffenen Förderung unterstützt – für satte zwei Jahre! Immerhin, für die Organisatoren ist das eine späte Anerkennung für jahrzehntelange, unermüdliche Arbeit. Und erstmals die Möglichkeit, wenigstens ein bisschen längerfristig zu planen. Dass man beim CTM nie die Geduld verloren hat, während man sich von Jahr zu Jahr durchboxte, liegt auch an dem Zeitgeist, aus dem das Festival entstanden ist. Denn CTM ist ein spätes Produkt der Nachwendezeit, in der die Stadt jede Menge (Frei-)Räume für Menschen bot, die im Dienste der Kultur aus eigener Initiative zusammen improvisierten. Die Gründer des CTM lernten sich Mitte der 90er Jahre in dem Club St. Kildas Trips Drill kennen. Der Laden – dessen Namen sich aus der Bezeichnung eines Stadtteils von Melbourne und eines Vergnügungsparks in Baden-Württemberg zusammensetzte – war die Art von Etablissement, die für das Nachtleben im Ostteil der Stadt zu dieser Zeit typisch war: ein kleine Kaschemme in einer Baracke direkt an der ehemaligen Mauer, damals eine Stadtbrache und heute der Mauerpark. Zu DDR-Zeiten war in dem Bau eine Kartoffelhandlung.

Mit Außenklo

Es war die Zeit, als man im ehemaligen Ost-Berlin für wenig Geld Gewerberäume in verranzten Altbauten mit graubraunen Fassaden und Außenklo anmieten konnte, um Galerien, Projekträume, Clubs und Bars zu eröffnen. Die meisten dieser Läden waren kurzlebige Angelegenheiten wie berlintokyo, Init, Sniper, Panasonic, Hirschbar und die diversen Bars, die nach den Wochentagen benannt waren, an den sie geöffnet hatten. Sie alle sind lang Geschichte. Aber der Ethos dieser Zeit und dieser Bars und Clubs hat den Club Transmediale bis heute geprägt sagt Jan Rohlf, einer der Gründer des Festivals: „Einfach mal machen, loslegen, nicht lange abwarten“ – so wie die Macher der Clubs und Kneipen in Mitte und Prenzlauer Berg, die mit Möbeln vom Sperrmüll und schnell zusammengehauenen Theken und Tanzflächen für kurze Übergangszeiten und oft als Zwischennutzung ihre eigenen, höchst individuellen Räume schufen. Die dienten nicht in erster Linie der Profitmaximierung. Im besten Fall waren sie Treffpunkte für Leute aus der Kunst-, Musik- und Partyszene. Auch CTM wolle als „sozialer Ort“ bis heute „Schranken abbauen“ und Menschen und Milieus „miteinander verschalten“, die oft keine direkten Berührungspunkte, aber ähnliche Anliegen und Interessen hätten, sagt Rohlf. Das war schon so, als er 1998 der Transmediale vorschlug, das Medienkunstfestival um einen Teil mit experimenteller, elektronischer Musik zu erweitern. „Diese Medienkunstszene war in ihrer Blase, wir waren in unserer Blase, dabei gab es viele Gemeinsamkeiten“, erinnert sich Rohlf, der selbst als Künstler tätig war. In der Brunnenstraße in Mitte hatte er Ende der 90er Jahre in den Räumen eines aufgegebenen Clubs namens Hohe Tatra sein Atelier eingerichtet, in dem er regelmäßig Klanginstallationen präsentierte.

Mickey Kwella, der verstorbene Leiter der Transmediale, stand dem Angebot zwar aufgeschlossen gegenüber. Zu bieten hatte er allerdings nichts: Weder war Geld vorhanden, noch gab es im Podewil, wo das Festival damals noch stattfand, geeignete Räume. Rohlf und eine Gruppe von Freunden legten dennoch los, und begannen, aus einem besetzten Haus in der Luisenstraße in Mitte per Fax und Telefon eine zehntägige Veranstaltungsreihe für elektronische und Avantgarde-Musik zu organisieren. Weil es keine anderen Mittel gab, sollte die sich durch den Eintritt finanzieren. Rohlf: „Das war ein kompletter Blindflug. Wir hatten keine Ahnung, wie’s gemacht wird.“

Als Ort war schnell das Maria am Ostbahnhof gefunden, ebenfalls ein Produkt der Nachwendezeit: Der Club befand sich in einem gammeligen Lager- und Verwaltungsgebäude neben dem ehemaligen Postbahnhof am Ostbahnhof. Wer heute Zugriff auf eine Immobilien zwischen Eastside-Gallery, Berghain und Möhrchenpark hätte, könnte daraus wohl eine Gelddruckmaschine machen. Aber damals überließ das Betreiberkollektiv den frischgebackenen Festivalmachern die Schlüssel und fuhr in den Skiurlaub. Nach wenigen Monaten Vorbereitungszeit fand dort im Februar 1999 parallel zur Transmediale der erste Club Transmediale statt, bei dem unter anderem Monolake, Angelika Middendorf, Toktok und Mariza Maza teilnahmen. Von der Transmediale bekam man außer moralischer Unterstützung nur ein paar Fernseher und anderes Equipment. Rohlf: „Wir hatten keine Rücklagen und haben die Veranstaltung aus dem Nichts gestemmt.“ So sollte es auch in den nächsten Jahren bleiben: Ob man die Veranstaltung fortführen würde, wurde zunächst von Jahr zu Jahr entschieden. Nur langsam begann man sich um finanzielle Unterstützung von Hauptstadtkulturfonds, Europäischer Union und ausländischen Kulturinstitutionen zu bewerben. Die institutionelle Förderung durch die Berliner Kulturverwaltung erlaubt es nun, dass ein siebenköpfiges Team inklusive Rohlf und den beiden anderen Festivalgründern, Remco Schuurbiers und Oliver Baurhenn, das ganze Jahr an der Vorbereitung des Festivals arbeiten kann.

Quer finanziert durch Arbeit

CTM versteht sich als heterotopischer Raum jenseits des Alltags

„Anfangs haben wir das Festival durch unsere Arbeit sogar quer finanziert, weil für die Vorbereitung oft gar kein Geld da war“, erinnert sich Rohlf. Und so kam Berlin ohne eigenes Zutun zu einem Festival, das sich inzwischen international einen guten Ruf erworben hat und zuletzt in Indonesien und dem Iran Ablegerveranstaltungen organisierte. Waren es im ersten Jahr gut 100 Künstler, die sich in anderthalb Wochen präsentieren, sind es im Jubiläumsjahr unzählige Musiker, Produzenten, DJs, Künstler und Performer, die an verschiedenen Orten in der ganzen Stadt auftreten. CTM zog mit dem Maria in die Halle am Spreeufer, in der heute das Yaam ist. Inzwischen bespielt man Orte in der ganzen Stadt mit Konzerten und Partys – in diesem Jahr unter anderem Berghain, HAU, Paloma, Festsaal Kreuzberg und Heimathafen Neukölln. Und das Festival bemüht sich um Interdisziplinarität: Neben Konzerten und Partys gibt es eine Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg, Installationen in der Halle am Berghain und dem nGbK und eine Eislaufbahn(!) ebenfalls in der Halle am Berghain. Im Kunstquartier Kreuzberg finden Vorträge und Workshops statt. Die vielen Veranstaltungsorte, die das Festival zum Teil etwas unübersichtlich werden lassen, sollen Leute aus möglichst vielen Szenen an die Veranstaltung heranführen. Im vergangenen Jahr besuchten 40.000 Menschen die spektakuläre Lichtinstallation „Skalar“ im Kraftwerk Mitte, und Rohlf hofft, so weiter „Türen zu öffnen. Wer sich erst mal in so eine Installationen getraut hat, kommt vielleicht auch zu einem Konzert.“ Und wer kommt, soll sich nicht als unbeteiligter Zuschauer betrachten. Bis heute versteht sich das Festival auch als Fest, das als ein „heterotopischer Raum“ jenseits des Alltags funktioniert und bei dem man sich auf neue oder extreme Erfahrungen einlassen kann.

Die eingeladenen Künstler kommen dabei aus allen Generationen und unterschiedlichen Szenen: Vertreter der arrivierten Avantgarde wie Charle­magne Palestine oder Ernstalbrecht Stiebler sind beim CTM ebenso aufgetreten wie Vertreter der avantgardistischen Clubmusik wie Actress. Pioniere der elektronischen Musik wie Jean-Jacques Perrey und Pauline Oliveros und New-Wave-Veteranen wie DAF oder Genesis P-Orridge. Aber auch Techno-Schwergewichte wie Marcel Dettmann, Miss Djax oder Electric Indigo. In den letzten Jahren hat das Festival zunehmend auch Künstler aus Ländern jenseits von Europa und den USA eingeladen.

Bis heute versucht Jan Rohlf möglichst bei allen Konzerten und Partys dabei zu sein, auch wenn das wegen der zahlreichen, parallel stattfindenden Events oft kaum möglich ist: „Ich bin ständig im Publikum, ich will alles hören, alles sehen“, sagt er. Nach dem Festival braucht er allerdings drei, vier Wochen, bevor die Erschöpfung abgeklungen ist, die es auslöst, wenn man sich so viel Intensität aussetzt: „Es bleibt ein Echo im Körper.“

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