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Archiv-Artikel

Guter Fisch braucht keinen Chef

SARDINIEN „Sotto padrone“ – unterm Boss – wollen viele Italiener nicht arbeiten. Auch die Fischer der Pontis-Genossenschaft haben sich ihrer Herren entledigt

AUS CABRAS MICHAEL BRAUN

Es ist noch nicht einmal ein Uhr mittags, eigentlich noch keine Tischzeit auf Sardinien. Doch am Eingang des Restaurants drängeln sich schon die Leute. Geduldig stellt der junge Mann an der Tür die immer gleiche Frage: „Haben Sie reserviert? Nein? Ich kann Sie auf die Warteliste nehmen, in drei Tagen ist wieder was frei.“

So geht es Tag für Tag im Sa Pischera e Mar e Pontis. An den langen Tischen in dem großen historischen Gebäude ist kein Platz frei, mittags wie abends kommen Hunderte Gäste, angelockt von den moderaten Preisen und einem Fischmenü, dessen wichtigste Ingredienzien aus den Becken hinter dem Restaurant stammen: aus natürlichen Becken, mit hohen Schilfzäunen abgesteckt, in dem Kanal, der die Lagune von Cabras im Westen Sardiniens mit dem offenen Meer verbindet.

„Wie ein Freilichtmuseum ist das hier hergerichtet“, meint draußen einer derer, die keinen Platz bekommen haben. Die alten restaurierten Mauern der Häuser rund um die Becken, das akkurat gesteckte Schilf, die wackligen Holzstege – das alles wirkt tatsächlich, als sei hier ein sardisches Heimatmuseum zu Hause. Doch der Kanal und das Restaurant sind alles andere als ein Museum. Für etwa 100 Genossen des Konsortiums Pontis dienen sie als Arbeitsplatz.

Davon kann man sich am nächsten Tag überzeugen, im Morgengrauen. 15 Männer steigen ins hüfttiefe Wasser, komplett in Ölzeug gekleidet, sie stellen sich im Kreis auf, an Stangen halten sie ein großes Netz hoch, kommen einander immer näher. In den Maschen fangen sich Dutzende Meeräschen. Die größeren, manchmal fast einen Meter langen Fische, die sich mit einem Sprung aus dem Netz zu retten suchen, werden mit der Hand gefangen. „Bei uns geht es zu wie vor Hunderten von Jahren“, meint Francesco Meli, Präsident des Konsortiums, „wir fischen entweder hier in den Becken oder mit unseren kleinen Booten draußen in der Lagune.“

Einen entscheidenden Unterschied zu früher allerdings nennt Meli auch. Damals waren „die Barone“ die Eigner der Lagune. Sie kontrollierten den Fischfang. „Die Fischer mussten für sie arbeiten, als Beschäftigte oder auf Prozentbasis.“ Seit nunmehr 30 Jahren sind die Fischer ihre eigenen Herren – ein Motiv, das in dem mit insgesamt 70.000 Genossenschaften auf diesem Feld führenden Italien traditionell eine zentrale Rolle spielt.

Egal ob die Genossenschaften unter sozialistischer oder kommunistischer Führung oder im christdemokratischen Milieu entstanden: Oft genug wollten die Menschen nicht mehr sotto padrone – unter dem Chef – arbeiten. Oft sahen sie sich auch in dem Land, das über Jahrzehnte eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit aufwies, gezwungen, die Arbeit selbst zu beschaffen. Das Resultat: Ob im Einzelhandel, auf dem Bau – dort gehören Genossenschaften zu den Größten der Branche – oder unter Winzern, Genossenschaften sind fast flächendeckend vertreten. Der italienische Staat tat das Seine, mit Vorteilen vor allem bei der Unternehmensbesteuerung.

Das „Gold von Cabras“

Im Konsortium Pontis heißt das wichtigste Produkt „Gold von Cabras“: die von italienischen Feinschmeckern hoch geschätzte Bottarga. Sie ist der den weiblichen Tieren entnommene Rogen, der gesalzen und getrocknet wird. Früher erfolgte die Trocknung in der Sonne, heute kommt Heißluft in der Halle zum Einsatz. Verspeist wird die Bottarga pur, in feine Scheiben geschnitten oder geraspelt auf einem Teller Pasta. Seit etwa 500 Jahren, schätzt Meli, wird die Bottarga in Cabras gewonnen, „heute allerdings verdienen wir Genossen alle in gleichen Teilen daran“.

Das Prinzip sei einfach: In regelmäßigem Abstand werden die Einkünfte aus dem Restaurant und aus dem Verkauf der Bottarga oder auch der geräucherten Meeräschenfilets abgerechnet. Die Aufwendungen werden abgezogen – „und die verbleibende Summe wird unter den Genossen aufgeteilt“.