: Künstlichkeit, Wahrheit, Schönheit
Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ von 1922 im Rahmen des Festivals „100 Jahre Bauhaus“ an der Akademie der Künste
Von Astrid Kaminski
Weihnachtsbäume und Chemielabore scheinen eine gute Fundgrube für Oskar Schlemmers „Tanz aus Glas“ von 1929 gewesen zu sein. Anders als das bekanntere „Triadische Ballett“ von 1922 ist dieser Tanz tatsächlich am Bauhaus entstanden. Das Kostüm dafür besteht aus einem metallisch wirkenden Reifrock, der mit einem starken Gürtel angeschnallt wird und an dem dünne Stangengläser wie ein Vorhang hängen, einer Halskrause mit silbernen Christbaumkugeln, einem Glashelm sowie einem fackelartig wirkenden, spitz zulaufenden Reagenzglas in einer zur Scheibe vereinfachten Hand.
Torsten Blume hat dieses Kostüm im letzten Jahr in Dessau rekonstruiert, nun steht es in der Ausstellung der Akademie der Künste zu „100 Jahre Bauhaus“. Unwillkürlich fragt man sich, wie es sich darin wohl anfühlen mag. Höchstwahrscheinlich eine ziemliche Folter. Ein tolles Bondagerequisit.
Den Wunsch, am liebsten mal reinzukriechen, obwohl es nicht bequem aussieht, lösen auch Schlemmers bekanntere Figuren des „Triadischen Balletts“ aus. Sechs der geometrischen, oft knallbunten Kokonkörper sind in der Staatsgalerie Stuttgart im Original zu sehen: Taucher, Spirale, abstrakte Figur, Drahtfigur, Goldkugel und „Türke“.
Im Jahr 1977 war es so weit. Gerhard Bohner, Tanzikone und Ballettrevolutionär des 20. Jahrhunderts, hatte alle der ursprünglich 18 Kostüme Schlemmers rekonstruiert und sich dem Tanz angenähert, der in diesen Kostümen 1922 von Albert Burger, Elsa Hötzel sowie Schlemmer selbst (unter Pseudonym) am Landestheater Stuttgart aufgeführt wurde. 2014 hat sich dann das Bayerische Staatsballett, dessen damaliger Leiter einst mit Bohners Version auf Welttournee gegangen war, der Rekonstruktion der Rekonstruktion angenommen.
Nun wurde das „Triadische Ballett“ für das Bauhaus-Jubiläums-Auftakt-Festival wieder aufgenommen. Am Dienstag schlüpften zwölf junge Tänzer*innen in die anfangs noch ausgestellten Kostüme.
Allerdings ist die Vorstellung, wie die Figuren sich bewegen könnten, interessanter als das Resultat: Ein dekorativer, bunter Spielfigurenreigen mit äußerst beschränkten Bewegungsmöglichkeiten und, obwohl ein „Fest fürs Auge“, wie es dem Schöpfer vorschwebte, auf Dauer etwas langweilig. Reifröcke für die Frauen, meist bunt, mal als Kreisel, mal als Spirale, für die Männer eine Reifhose, ein keulenförmiger Polsteranzug, ein Hampelmann in Liliensymbol-Optik, Halskrausen mit Bommeln, dazu Scheiben- und Kugelmenschen mit Helmen, die in Masken übergehen, und am Ende die „Abstrakte Figur“, die an Kubismus erinnert.
Dazu Schrittkombinationen aus den Grundpositionen des Balletts sowie kleine Geschichtlein im Stil von „Ich fang dich“ oder „Ich mag dich, ich mag dich nicht“. Kinderfreundlich, aber wegen der monotonen Defilees doch nichts für Kinder.
Künstlichkeit war für Schlemmer die Quelle für Wahrheit und Schönheit, die Mensch-Maschine das Ideal. Ein klares Gegenprogramm zum Ausdruckstanz, der zur selben Zeit populär war. Statt Gefühlen und Empfindungen sollen im „Triadischen Ballett“ Tänzer*innen mit Form und Raum verschmelzen. Das ist jedoch nicht gelungen. Denn ein choreografisch interessantes Raumkonzept ist bei Schlemmer/Bohner kaum vorhanden und das Figurinenhafte viel zu dominant, als dass eine reine Formsprache entstehen könnte.
Als Anschauungsmaterial bildet es jedoch eine gute Anleitung für weitere Ausstellungsexperimente zum Thema Mensch-Maschine und zur Frage, wie viel Geist in der Form steckt. Daher: Eine Zukunft des „Triadischen Balletts“ als gutes 3-D-Video wäre ideal, und damit wäre die Bühne frei für Tanzmaschinen und Avatare jüngeren Datums sowie interaktive Schlemmer-Figuren zum Selbst-Reinschlüpfen.
Heute ist die Ausstellung „100 Jahre Bauhaus“ bis 24 Uhr geöffnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen