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Archiv-Artikel

berliner szenen Gedüngt

Das Balkongeländer

Auf einem Balkon werden Blumen gegossen, und das überflüssige Wasser tropft in langen Fäden auf den Bürgersteig hinunter. Ich trete einen Schritt zur Seite, um nicht von diesem Miniaturregen durchnässt zu werden, und mein Blick folgt dem Weg des Wassers vom Balkon im ersten Stock, wo prächtige Begonien blühen, hinunter auf den Bürgersteig. Er ist in der Mitte mit großen Granitplatten gepflastert und an den Rändern mit kleinen Mosaiksteinen eingefasst. Ein kleines Kunstwerk unbekannter Berliner Pflasterer, noch aus dem vorigen Jahrhundert.

Ich trete wieder einen Schritt näher an den Bonsairegen heran und schaue noch einmal nach oben. Die Begonien werden bestimmt jeden Abend mit einem Schluck Düngemittel gegossen. Und mit ihnen die Pflastersteine unter ihnen. Was ihnen gut zu bekommen scheint, denn zwischen den Pflastersteinen wächst eine exakte Nachzeichnung des Balkons darüber. Ich lasse meinen Blick ein Stück über den Bürgersteig gleiten, aber nirgendwo sonst ist ein Balkon in Form von Grashalmen zu sehen. Ob die Blumengießerin bemerkt hat, dass sie durch ihr tägliches Düngen und Gießen einen Kleinstpark angelegt hat, der in keinem Stadtplan zu finden ist?

Am liebsten würde ich mich mit einem Gartenstuhl auf diesen Balkon setzen, ein Glas Weißwein trinken und über den Rand des Balkongeländers das Treiben der Stadt betrachten. Leider ist weit und breit kein Gartenstuhl zu sehen. Das ist schade, und ich muss mich wieder losreißen von meinem Anblick. Als ich weitergehe, beschließe ich, ein paar Kapuzinerkressesamen zu kaufen. Ich werde sie morgen auf das vier Zentimeter hohe Balkongeländer streuen, dann habe ich im nächsten Frühjahr Blumen auf dem Balkon. DANIEL KLAUS