der rote faden: Rechte sagen nicht N****, Linken fehlt Awareness
Durch die Woche mit Robert Misik
Es gibt ja eine Reihe konkurrierender Auffassungen darüber, was den autoritären Nationalismus stark mache. Da ist einmal der Verdruss über die Elitenpolitik als solche, der ein Gefühl bestärke, „dass sich etwas ändern muss“. Dazu kommt das Empfinden vor allem unterprivilegierter Gruppen, dass sich für sie die Dinge verschlechtern, sich aber überhaupt niemand mehr für ihre Situation interessiert. Traditionell progressive Parteien, etwa die Sozialdemokraten, sind in dieser Interpretation zu lahmen Mittelschichtsparteien geworden, die die Wut der Bürger gar nicht mehr repräsentieren können.
Der Bremer Politikwissenschaftler Philip Manow hat mit seinem Bändchen „Die politische Ökonomie des Populismus“ die sozialökonomische Interpretation noch einmal zugespitzt: Die Globalisierung produziere Gewinner und Verlierer, und die Verlierer werden von den Gewinnern nicht mehr entschädigt. Die Arbeiterklasse und die unteren Mittelschichten seien einerseits Opfer des ökonomischen Wettbewerbs – etwa durch die internationaler Konkurrenz, die ihre Löhne drückt oder ihre Firmen ruiniert. Und andererseits seien sie es in den hoch entwickelten Wohlfahrtsstaaten auch infolge Migration. Denn Migranten werden als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt (Lohndumping!), auf dem Wohnungsmarkt und tendenziell auch als Konkurrenten um wohlfahrtsstaatliche Leistungen erlebt.
Die anderen bekannten Interpretationen gehen hingegen mehr von einer kulturellen Entfremdung als von einer sozialökonomischen Bedrängnis als Ursache des erstarkenden Nationalismus aus: Die Linken hätten sich nur noch um Identitätspolitik und um die Belange von Minderheiten gekümmert und damit die „weiße Arbeiterklasse“ den Rechtsradikalen überlassen. Diese Arbeiterklasse hänge aber, genauso wie das „rohe Bürgertum“, oft konventionellen Lebensstilen an. Es sei schon immer eher traditionell orientiert gewesen, man denke nur an das Ideal des männlichen Ernährers der Familie. Eine originelle Ergänzung dieses Deutungsrahmens lieferte unlängst der Politikwissenschaftler Christian Welzel, der nachwies, dass nahezu alle vom erstarkenden Nationalismus betroffenen Gesellschaften soziopolitisch liberaler werden, sodass sich die eher konventionell orientierten Milieus plötzlich abgewertet und bedroht fühlen. Er spricht von „zwei moralischen Stämmen“, die miteinander ringen. Der Aufstieg des Rechtsradikalismus sei also eine Art perverses Symptom dafür, dass linksliberale Werthaltungen eigentlich Erfolg haben.
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass alle Interpretationen zusammen richtig sind. Erst durch das Zusammenwirken der unterschiedlichsten Faktoren lässt sich die politpsychologische Gemengelage erklären, die dazu führt, dass die Demokratie im Westen immer stärker unter Druck gerät.
Gerne wird ja auch erklärt, dass eine übertriebene politische Korrektheit sogenannte normale Leute den Linken entfremde. Weil diese These aber auch Teil der rechten Propaganda ist, fällt das unvoreingenommene Nachdenken darüber schwer. Ich glaube ja, dass die wenigsten Stahlarbeiter deswegen frustriert sind, weil etwa auch Transpersonen mit Respekt begegnet wird. Letztendlich ist Political Correctness nichts anderes als Höflichkeit, und das wissen auch die Wähler rechtspopulistischer Politiker. So haben unlängst 35 Prozent der Trump-Wähler angegeben, schon einmal das N-Wort benutzt zu haben. Ich finde daran ja vor allem interessant, dass damit gleichzeitig 65 Prozent aussagen, es noch nie benutzt zu haben.
Dennoch denke ich manchmal, dass an der Political Correctness etwas ist, was Menschen abschreckt. Aber es ist eher die Rhetorik, mit der sie oft daherkommt. Es gibt da einen Zungenschlag, der vielen Menschen signalisiert, sie seien nicht reflektiert genug, sie dächten zu wenig nach, ja, sie seien auch zu ungebildet. Sie müssten erzogen werden, um gute Menschen zu werden. Sie müssten sich selbst erziehen, um auch so allumfassende, tolle Awareness zu entwickeln wie die zartfühlenden Studierenden aus Mittelschichtsfamilien. Dass Menschen sich nicht gerne sagen lassen, dass sie erzogen gehören, kann man verstehen. Und es kommt vielleicht noch etwas anderes hinzu. Irgendwie entsteht das Signal, jetzt sei einmal die Zeit für alle Minderheiten, sich zu verwirklichen, und alle anderen sollen bitte mal zurückstecken und „ihre Privilegien checken“.
Es ist aber nur natürlich, dass sich prekär arbeitende weiße Verkäuferinnen oder Automobilarbeiter nicht sonderlich privilegiert vorkommen. Jedenfalls bleibt irgendwie unklar, was denn die universalistische Botschaft ist, die allen das Gefühl geben könnte, dass man gemeinsam bei einer Veränderung etwas gewinnt. Diese universalistische Perspektive war aber immer die Vorbedingung dafür, Allianzen aus diversen Milieus und Akteuren zu schmieden. Aber das ist nur so ein Gedanke.
Nächste Woche Klaus Raab
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