: Stille Schlacht um Westberlin
taz-Serie Wahlkreisduelle (Teil 4): Das reiche Charlottenburg-Wilmersdorf hat die Wahl zwischen der SPD-Kulturpolitikerin Petra Merkel und dem CDU-Landeschef Ingo Schmitt. Und zwischen zwei Antworten auf die Frage: Was ist heute bürgerlich?
■ Die Wahlkreisduelle: Selten war der Kampf um Bundestags-Direktmandate in Berlin so spannend wie in diesem Jahr. 2002 gewannen die SPD neun, die PDS zwei und die Grünen einen Wahlkreis. Es ist unwahrscheinlich, dass die Sozialdemokraten dieses Ergebnis wiederholen. Die Union hat laut Umfragen zugelegt, auch die PDS besitzt gute Chancen, zusätzliche Mandate zu gewinnen. Die taz beobachtet jede Woche ein besonders spannendes Duell
VON MATTHIAS LOHRE
Ginge es bei diesem Duell nur um zwei wenig bekannte PolitikerInnen, die sich Scheingefechte um ein Bundestags-Direktmandat lieferten, gäbe es aus Charlottenburg-Wilmersdorf nicht viel zu berichten. Umso weniger, da sich beide KontrahentInnen ohnehin nach dem 18. September im Bundestag wiedersehen werden; sie sind durch vordere Plätze auf der Landesliste ihrer Parteien abgesichert. Selbst für den Bezirk wichtige Themen bergen kaum Sprengstoff in diesem Wettstreit: Beide KandidatInnen engagieren sich gegen die geplante Abkoppelung des Fernverkehrs vom Bahnhof Zoo – alles andere wäre politischer Suizid. Doch in diesem Wahlkampf zwischen Gemüseständen und auf Sommerfesten im Herzen des alten Westberlins geht es um mehr.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wohin sich das einst als „neue Mitte“ umworbene Bürgertum wendet, wenn Sozialpolitik nicht mehr gleichbedeutend ist mit dem Verteilen von Wohltaten. Wie tief sind die Spuren, die sieben Jahre rot-grüner Bundesregierung in den Köpfen der Mittelschicht hinterlassen haben? Und: Ist etwas vom einst „roten“ Berlin geblieben.
Petra Merkels Lächeln wirkt entspannter als noch vor wenigen Wochen. Als die 57-Jährige mit den strubbeligen blonden Haaren und der roten Brille den Gast begrüßt, scheint die Sonne in ihr kleines Abgeordneten-Büro im Paul-Löbe-Haus. Als Bildschirmschoner auf ihrem Computer läuft ein Satz von rechts nach links: „Wollte nur mal gucken, ob du auch was tust.“ Und es tut sich was für die SPD.
Trendwende in Berlin?
Nach Monaten, in denen die Berliner SozialdemokratInnen unrettbar verloren schienen, gibt es Anzeichen, dass der Wind sich dreht. Noch vor zwei Wochen schienen alle reinen West-Bezirke an die CDU verloren zu gehen. Auch das Direktmandat in Charlottenburg-Wilmersdorf, das Merkel vor drei Jahren mit fast 42 Prozent der Erststimmen gewann – mit deutlichen zehn Prozentpunkten Abstand zur CDU. Was auch immer die Berliner GenossInnen taten, nichts schien gegen die steife Brise namens Bundestrend anzukommen.
Der Wind bläst den GenossInnen in den anderen Bundesländern zwar immer noch ins Gesicht. Aber in Berlin ist das anders. „Es lässt sich kaum noch vorhersagen, wer in Charlottenburg-Wilmersdorf gewinnen wird“, sagt Matthias Moehl vom Wahlprognose-Institut Election.de. Derzeit liege die SPD mit einem hauchdünnen Vorsprung vor der CDU. „Der Bezirk bleibt hart umkämpft – wie ganz Westberlin.“ Deshalb hofft Petra Merkel wieder.
Die Bundestagsabgeordnete, Mitglied im Haushaltsausschuss und dort zuständig für den Kulturetat, redet viel über ihre Steckenpferde: Merkel fordert zusätzliche Bundesmittel für den Erhalt der Deutschen Oper, die Deutschlandhalle will sie vor dem Abriss retten und das Kinosterben in ihrem Wahlkreis stoppen. „Das alles ändert die Struktur im Bezirk“, sagt Merkel. Doch die gelernte kaufmännische Angestellte weiß, dass solche Fragen viele Menschen im Bezirk überhaupt nicht berühren. „Gegen den Bundestrend kann ich nicht viel ausrichten. Dafür beachten die Medien lokale Themen zu wenig.“
Deshalb ist Merkel ständig unterwegs: Sie redet über „Kleingärten in Berlin“, diskutiert mit Gewerbetreibenden über „Chancen der Fußball-WM 2006“ und lädt unter dem Titel „Mit Petra zu Hertha“ zum Bundesligaspiel von Hertha BSC gegen VfL Wolfsburg. Petra Merkel sucht die Öffentlichkeit. Ingo Schmitt ist da anders – und er weiß es.
Das Gesicht des CDU-Direktkandidaten kennen nicht viele Berliner. Dabei hat der 48-Jährige bereits eine lange politische Karriere hinter sich. Schmitt ist ein Spross einer alten Unions-Familie: Er selbst war so ziemlich alles, was man in seiner Partei werden kann. Seit drei Monaten ist der große, breitschultrige Mann, zu dem die unruhigen kleinen Augen so schlecht passen wollen, endlich an der Spitze.
Schmitts Ellenbogen
Der Europa-Abgeordnete Schmitt ist seither auch CDU-Landesvorsitzender. Dass sich der Ämterhäufer auch noch einen Bundestags-Sitz genehmigen will, findet er selbst nicht verwunderlich: „Der Landesvorsitz ist ja eine ehrenamtliche Tätigkeit“, sagt Schmitt. Da bleibe noch genug Zeit für die Bundespolitik. Und wer nach der Bundestagswahl seinen Platz im Straßburger EU-Parlament einnimmt, ist auch schon ausgemacht. Doch beliebt ist der geborene Charlottenburger nicht einmal in der eigenen Partei. Allzu oft hat Schmitt in Klüngelrunden Fakten geschaffen, die er dann einer frustrierten Parteibasis auftischte. Seine Ellenbogen haben ihm den Weg bereitet. Aber beliebt haben sie ihn nicht gemacht.
Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der Berliner Zeitung bekam er in der vergangenen Woche unter 15 Landespolitikern die drittschlechtesten Noten. Nur der Finanz- und der Bildungssenator schnitten schlechter ab. Erstaunlich für einen Oppositionspolitiker, der soziale Kürzungen weder einklagt noch umsetzen muss.
Schmitt steht für das oft beklagte „alte“ Westberlin, dessen Protagonisten noch heute im Lagerdenken des Kalten Krieges verhaftet sind. So sieht die Hauptstadt-Union bis heute allerorten „tiefe sozialistisch-kommunistische Ideologie“ im Senat am Werk. Vor vier Jahren kostete Schmitt es noch seinen Job als CDU-Generalsekretär, als er Schulsenator Klaus Böger (SPD) als die „größte Politnutte der Stadt“ beschimpfte. Seit Schmitt Parteivorsitzender ist, übt sich der gelernte Jurist in der Pose des ausgleichenden Landesvaters in spe. Die verbalen Angriffe tragen heute andere vor.
Als provinziell kanzeln manche Beobachter die Partei ab, der er vorsteht. „Wir sind natürlich gegen bösartige Unterstellungen nicht gefeit“, antwortet Schmitt auf solche Vorwürfe. Er wirkt ruhig dabei. Wenn er erst im Bundestag sitzt, wird er sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen können.
„Verkehrs-, Innen-, Rechts- und Europapolitik“ stehen auf seiner Wunschliste. „Und Mitarbeit im Haushaltsausschuss.“ Dort würden der Junggeselle Schmitt und Merkel, die geschiedene Mutter einer Tochter, dann wieder aufeinander treffen. Schon in ihrer gemeinsamen Zeit im Abgeordnetenhaus waren sie einander in herzlicher Abneigung verbunden. Sie als Abgeordnete, er als Staatssekretär in der Verkehrsverwaltung des schwarz-roten Senats.
So stehen die KontrahentInnen als Galionsfiguren verschiedener Selbstverständnisse da. Charlottenburg-Wilmersdorf sei zwar sehr bürgerlich, sagt Petra Merkel. „Aber hier gibt es auch ein großes rot-grünes Wählerpotenzial.“ Die SPD-Frau muss hoffen, dass sich die WechselwählerInnen trotz des schlechten Umfragetrends im Bund wieder für sie entscheiden. War Rot-Grün nur eine Schönwetter-Veranstaltung? Flüchten die gebildeten Schichten bei Unwetter unter das vermeintlich stabile Dach der Kleinbürgerlich-Konservativen? Mit anderen Worten: Wie linksliberal ist das Herz Westberlins 16 Jahre nach dem Mauerfall?
Wer darauf Antworten sucht, kommt an einer ruhigen Frau mit Brille nicht vorbei. Elfi Jantzen kandidiert im Bezirk für die Grünen. Das 51-jährige Mitglied im Abgeordnetenhaus wird das Direktmandat nicht gewinnen. Aber von ihr kann abhängen, wer es bekommt. Vor drei Jahren holte die populäre Grüne Franziska Eichstädt-Bohlig 14,2 Prozent der Erststimmen in Charlottenburg-Wilmersdorf – ein großer Erfolg für die bau- und wohnungspolitische Fraktionssprecherin im Bundestag – obwohl die Grünen damals Wahlkampf für die SPD machten: Erststimme für Petra Merkel, Zweitstimme für die Grünen.
Ihre Nachfolgerin Elfi Jantzen hat ein schweres Erbe: „14 bis 15 Prozent der Erststimmen halte ich für realistisch“, sagt sie – und hofft insgeheim auf bis zu 20 Prozent. Für die SPD wirbt die grüne Gesundheitspolitikerin bei dieser Wahl nicht. Die Opposition vor Augen, kämpfen Rot und Grün auch hier getrennt. Die Grünen dürften so zum Zünglein an der Waage werden. Ein gutes Erststimmen-Ergebnis könnte Petra Merkel die entscheidenden Stimmen kosten. Die kleine FDP (Erststimmen 2002: 9,3 Prozent) und die Linkspartei.PDS (2002: 2,0 Prozent) hingegen werden auch diesmal nicht wahlentscheidend sein.
Wenn am 18. September um 18 Uhr die Wahllokale schließen, könnte sich ein kleines Wunder ereignet haben: Die Wahlentscheidung der Westberliner entkoppelt sich vom Bundestrend, und während im Bund die Union gewinnt, machen in der Hauptstadt die SozialdemokratInnen das Rennen – in einer Stadt, in der es seit Jahren unter einer SPD/Linkspartei-Regierung ans Eingemachte geht.
Die Menschen in Charlottenburg-Wilmersdorf werden die Bundestagswahl nicht entscheiden. Aber sie werden mit ihrem Erststimmen-Kreuzchen offenbaren, wie nahe ihnen ihr eigener Bezirk ist.