: „Das schafft die pure Ungerechtigkeit“
Der alternative Wirtschaftsweise Rudolf Hickel über die Steuerphilosophie des neuen CDU-Stars Paul Kirchhof: unsozial, für den Staat ruinös, systematisch nicht zu Ende gedacht – aber mit einigen interessanten Anregungen
taz: Herr Hickel, Ihr Steuerkollege Paul Kirchhof nennt seine Steuer Garten der Freiheit.
Rudolf Hickel: Ja, ja, und es fließen dort auch Honig und Wein. Da hat der gute Kirchhof wieder mal seine biblische Vorstellungswelt mit der steuerlichen Realität durcheinander gebracht. Kirchhofs Karlsruher Entwurf gibt sich einfach, erzeugt aber schlicht Ungerechtigkeit. Und ist so astronomisch teuer, dass er den Staat in den Bankrott triebe.
Moment mal. Was ist ungerecht, wenn die Bürger ihre Steuern wieder verstehen?
Gar nichts. Es kann kann keinen Zweifel geben, dass wir eine Steuervereinfachung brauchen. Aber erstens ist es Teil der Kirchhof’schen Ideologie, den Leuten vorzugaukeln, es gäbe die Steuererklärung auf einem Glückskeks. Und zweitens ist diese Vereinfachung ohnehin nicht das Revolutionäre an seinem Entwurf.
Was ist das Umwerfende?
Der Einheitstarif von 25 Prozent, den er einführen will. Und die Zusammenführung der bisher sieben Einkunftsarten. Das zweite ist ein interessanter Vorschlag. Das Erste aber schafft die pure Ungerechtigkeit.
Warum?
Weil der Millionär und die allein stehende Krankenschwester mit 20.000 Euro den gleichen Steuersatz haben. Das darf man nicht machen, sonst verletzt man die soziale Symmetrie. Erste Berechnungen zeigen schon, dass der Gewinn der Spitzenverdiener durch die Senkung des Tarifs viel größer ist als der Verlust, der durch wegfallende Steuervorteile entsteht. Das heißt: Kirchhofs Spitzensteuersatz ist viel zu niedrig, und er setzt obendrein viel zu früh ein. Das ist Gleichmacherei zu Lasten der Schwachen. Ein Verstoß gegen die Grundgeometrie der sozialen Marktwirtschaft …
… finden Teile der Union.
Ja, die CSU verlangt die Beibehaltung der Steuerprogression, die Kirchhof abschaffen will. Progression bedeutet: Die starken Schultern tragen relativ mehr als die Schwachen.
Kirchhof behauptet, das sei auch bei ihm so.
Ja, in einem ganz schmalen Korridor ab den ersten 10.000 zu versteuernden Euros. Da packt Kirchhof nämlich plötzlich das schlechte Gewissen. In seinem Entwurf hat er selbst geminderte Steuersätze von 15 und 20 Prozent, die er ausdrücklich damit begründet, die soziale Gerechtigkeit wahren zu müssen. Nur ist es doch völlig weltfremd, angesichts sich anhäufender Vermögen die Kategorie der Besserverdiener schon bei 20.000 Euro beginnen zu lassen. Ich glaube übrigens, dass der radikale Kirchhof-Tarif gar nicht mit der Verfassung vereinbar ist.
Warum nicht?
Weil er die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit verletzt.
Was wäre gerecht?
Unsere Initiative für eine solidarische Einfachsteuer. 45 Prozent Spitzensteuersatz, der ab 60.000 Euro beginnt.
Aber auch für Ihren Tarif gilt: Kleine Leute stehen ehrfürchtig vor dem Spitzensteuersatz der Reichen – aber die bezahlen ihn gar nicht. Kirchhof macht mit der Trickserei Schluss.
In der Theorie, ja. Wie das in der Praxis aussieht, wird sich zeigen. Hinter jeder Subvention sitzt eine schlagkräftige Lobby, die ihren Steuervorteil zu verteidigen bereit ist.
Also ist das eine schlechte Idee mit Klarheit durch Subventionsabbau?
Nein, das nicht. Kirchhof liegt ja richtig, wenn er Steuerschlupflöcher schließt, indem er etwa Verlustzuweisungsgesellschaften steuerlich den Boden unter den Füßen wegzieht. Tankerbau, Filmindustrie in Hollywood, auch die Windenergie werden bevorzugt. Der geltende deutsche Steuertarif wird dadurch unheimlich verhunzt. Das bedeutet, es gibt einen hohen virtuellen – und einen faktisch viel niedrigeren Tarif.
Wie wirkt die Kirchhof’sche Kombination von niedrigem Spitzensteuersatz, Freibeträgen für Kinder und dem Splitting?
Es stimmt, dass Familien derzeit steuerlich im Nachteil sind. Damit muss Schluss ein, da hat Kirchhof absolut recht. Nur bringt ein Paarsplitting bei einem so niedrigen Spitzensteuersatz gar nichts, es wird bagatellisiert. Es zeigt sich, dass das Kirchhof’sche System weit weniger durchdacht ist, als immer frohlockt wird. Bei der Abschaffung der über 400 Ausnahmetatbestände tut er viel konsequenter, als er in Wahrheit ist.
Wird sich Kirchhof durchsetzen mit der Abschaffung aller Steuervorteile schon bis zum 1. Januar 2007?
Es ist nicht sinnvoll, ausnahmslos alle Steuervorteile zu beseitigen. Denn Steuern zu erheben enthält immer das Moment des Steuerns. Der Staat fördert so gesellschaftlich sinnvolle Dinge. Und es ist auch gar nicht vorstellbar, dass alle Ausnahmetatbestände und Subventionen abgebaut werden. Ich halte Kirchhof für aufrecht-missionarisch, aber die Politik wird von seinem Modell nur einen Torso übrig lassen. Als Finanzminister würde er schnell entzaubert.
INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER