Der Saal tanzt und tanzt

Langsam, gen Ende schunkelt er ein paar „Easy Mobeasys, ohoooh, ahaaaa“ in den Klang hinein: Erobiques großartiges Neujahrskonzert im Festsaal Kreuzberg

Von Jenni Zylka

Diese jungen Leute! So Emo! Umarmen, herzen und küssen sich zur Begrüßung, tragen Glittergel um die Augen und freuen sich wie Bolle, dass sie gemeinsam mal wieder Erobiques Neujahrskonzert erleben können. Bei ihren Lieblingssongs halten sie gar Wunderkerzen in die Luft des Festsaals Kreuzberg – vielleicht nur Wunderkerzen-Apps, von wegen Brandschutz?

Erobique, der zunächst ein ganz klein wenig müde aussieht, macht es ihnen aber auch leicht, sich zu freuen: Bei seinem Eröffnungssong „Chips & Cola“ soll das Publikum äußern, was es gern nachts zu Hause vor dem Computer essen würde, „Nutella!“ schreit eine Mädchen­clique, „Snickers Eiscreme“ ein junger Mann, „Lachgummis!!“ eine Frau. Erobique, der große Spontandichter, baut all das in seine Musik ein, knallt es auf den Discobeat unter den Keyboardgroove, und da sitzt es gut.

Und wenig später ist er dann auch richtig wach, rappt im Grandmaster-Flash-Style den Song „Ich hab geträumt ich wär ein Rapper“ und reimt „Fettes Brot“ auf „Tod“ und „Ende Mann“ (wie im großen International Pony-Hit „Susanne zur Freiheit“) auf „Dendemann“ – denn „die neuen Rapper kenn ich alle nicht“, ruft er.

Die sind ja auch wurst und garantiert allesamt weniger groovy als der Tausendsassa, der mit rechts Melodica spielt, mit links Cowbells schlägt, auf dem Moog herumturnt wie beim „Captain Future“-Intro, schwitzt wie ein echter Soulman und irgendwie auch noch seine funky chords raushaut, die einem ob ihrer sehnsüchtigen 70er-Jahre-Songwriter-Sweetness beim Tanzen fast die Tränen in die Augen jagen.

Sein Neujahrssound wird leider selten mit seinen grandios-absurden Textfetzen und Geschichten angereichert, ist dafür ohne Pause durchtanzbar, klingt also eher nach Club als nach Discofieber. Und das passt ja ganz gut: In der Disco, also früher, durfte man rauchen, heute, also im Club, bekanntlich nicht mehr. Erobique, der ohne Sargnagel immer etwas nackt aussieht, will nämlich 2019 ebenfalls weniger rauchen. Hat er sich vorgenommen. Vermutlich fängt er auch gleich nach dem Konzert damit an.

So gehen die Songs am Dienstag in einer großen, beweglichen Four-on-the-floor-Attitude ineinander über, wie man es bei Erobique gewohnt ist. Und der Saal tanzt und tanzt, irgendwo singt die gesampelte Debbie Harry ihre „Heart of Glass“-Bridge „Lost inside / adorable illusion and I cannot hide“, und bei „Uhuuu – oohoo“ singt der Festsaal selig mit. Danach ­dichtet Erobique „Wir / sind süchtig nach Klavier / auf jeden Fall / wer nicht der hat n Knall“, und auch da hat er mal wieder recht: Wenn das Klavier so klingt wie bei ihm, dann wollen wir das.

Denn der gebürtige Westfale, dessen Musik zum großartigen „Tatortreiniger“ kürzlich endlich als Soundtrack veröffentlicht wurde, peppt den Dancesound mit so viel Herz und derartig vielen harmonischen Ideen auf, dass sich die redundanten, sich wiederholenden Mallorca-DJs mit ihren paar Knopfdrehereien und ihren alten Break-Tricks davon mal eine Scheibe abschneiden sollten.

Die verfügen weder über seinen Humor noch über seinen Genius, geschweige denn über diese (bis auf die Zöpfe) beeindruckende Ähnlichkeit mit Majestix. Langsam, gen Ende schunkelt Erobique ein paar „Easy Mobeasys, ohoooh, ahaaaa“ in den Klang hinein und den Saal damit zum Climax: Erobiques größter Hit ist der kollektive Lieblingssong. Glücklich werden Handys gezückt, geküsst, umarmt, als ob gestern nicht große Silvestersause gewesen wäre und es kein Morgen gäbe. Denn einen Kater kennen die jungen Leute ja nicht. Das kommt aber irgendwann, keine Angst.