: „Komik ist oft nur die Deckung“
Moritz Rinkes neues Drama „Westend“ wird am Freitag am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt, statt wie zunächst geplant am Berliner Ensemble. Ein Gespräch über das zerbrechende Bürgertum, das Abschotten der westlichen Welt – und Rinkes schnelles Aus am Berliner Ensemble
Interview Barbara Behrendt
taz: Herr Rinke, „Westend“ – der Titel Ihres neuen Stücks scheint für mehr zu stehen als nur für den Handlungsort. Das Ende der westlichen Welt?
Moritz Rinke: Vielleicht das Ende der westlichen Idylle. Doch je lauter die Welt von draußen klopft, desto mehr, scheint mir, wird dieser Westen zur verteidigten Enklave mit einer postdemokratischen Politik aus Zäunen und Nationalismus, mit schrecklichen Debatten über „Asyltourismus“ und Seenotrettung. In solchen Debatten, in diesem Geschrei seit 2015, geht ja wirklich eine Gesellschaft unter, die einmal sogenannte westliche Werte für sich reklamiert hat. Aber das ist jetzt der Blick von ganz außen, das Stück erzählt von innen, aus den Figuren heraus. Figuren sind das absolute Gegenteil von Interviews.
Im Stück klopft die Welt durch Michael an die Tür – er war als Arzt im afghanischen Krisengebiet und sucht jetzt beim Studienkollegen Eduard Unterschlupf. Der ist Schönheitschirurg, verheiratet mit der Opernsängerin Charlotte – situiertes Bürgertum, das dem eigenen Narzissmus frönt?
Ja, vermutlich wir alle, vielleicht bei der taz mittlerweile auch. Man muss ja als Sängerin nicht wohlsituiert sein, der Begriff des Bürgertums ist weiter gefasst, der betrifft auch das Theaterpublikum, die poröse Mitte mit ihren staatlichen Kultureinrichtungen und dem Glauben, von der Welt zu erzählen, um irgendetwas besser zu machen. Aber mittlerweile sind wir ja selbst das Problem, wir müssen nicht mehr von anderen erzählen, diesmal geht’s um uns. Ja, und vielleicht erscheint die „Staatsform des Narzissmus“, von der Eduard spricht, nun wirklich wie ein Krieg, den wir uns selbst erklärt haben. Diese Staatsform, so sieht es Eduard, ermöglicht zum Beispiel überhaupt keinen würdevollen Umgang mit dem Alter.
Kein neues Phänomen …
Ja. Ich erzähle von uralten Ängsten, nicht von ständig neuen Phänomenen.
Wir treffen auf lauter Einsame, die zur Liebe nur noch schwer fähig sind. Kaum taucht die attraktive Medizinstudentin Lilly auf, fliegen alle Verbindlichkeiten über Bord …
Einspruch! Die Figuren sind für mich durchaus liebesfähig – aber vielleicht hat keine am Ende die Kraft, zu etwas zu stehen, Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen, geschweige denn überhaupt zu wissen, was man fühlt.
Ihre Stücke haben oft diesen doppelten Boden, auch wenn sie wie Komödien daherkommen – aber kann es sein, dass „Westend“ desillusionistischer ist als frühere Dramen?
Vielleicht. Ich habe ja schon eine Probe gesehen und gespürt, dass da etwas anders ist als früher. Ich habe immer mehr diese große Sehnsucht nach wirklich balancierenden Theaterabenden. Ich wurde ja mal als Komiker geboren, aber nicht, weil ich so ein witziger Mensch bin. Komik ist ja oft nur die Deckung, das Versteck. Nun traue ich mich weiter heraus. Ich habe in meinem Leben sehr viele verlorene, erfolglos suchende Menschen erlebt. Vielleicht bin ich, ähnlich wie Eduard, immer um sie herumgetanzt mit meinen kleinen Künsten. Aber nun wird es plötzlich still und so traurig auf der Bühne. Gott sei Dank gibt es noch diesen Eduard mit einer gegen den Schmerz anspielenden Heiterkeit.
Zwei Männer und zwei Frauen, die in einem Landhaus zusammenprallen und ihre Beziehungen aufwirbeln. Nicht nur die Namen der Figuren erinnern an Goethes „Wahlverwandtschaften“.
Mich hat es gereizt, Goethes Figuren völlig neu zu erzählen. Ich finde den Roman wahnsinnig heutig, die Brüchigkeit dieser aristokratischen Welt erinnert an die zerbrechenden Burgen des Bürgertums heute.
Sie haben die Umbrüche in der Türkei während des Putschs erlebt, sind mit einer Türkin verheiratet – wie hat das Ihr Schreiben verändert?
Zwischen den beiden Welten Türkei und Deutschland zu stehen hat meinen Blick verändert. Ich habe die Freiheiten hier viel mehr zu schätzen gelernt. In Antalya, wo mein Schwiegervater Syrer auf seiner Gemüsefarm aufgenommen hat, wollen die Menschen zurück in ihre Heimat, können aber nicht. Einer hat mir genau beschrieben, warum er fliehen musste. Weil die Türkei genau jene kurdischen Stellungen mit deutschen Panzern bekämpfte, die sein Dorf bisher vor dem IS geschützt hatten.
Ist Ihr Stück eine Reaktion auf diese Erlebnisse?
Nein, oder: auch. Bei einem Stück gibt es ja viele Verästelungen, da kommen Welterfahrung, Biografien und Themen zusammen, die einen grundsätzlich bewegen. Lilly, die junge Nachbarstochter, die einen ganz eigenen Blick auf die Welt hat, erzählt zum Beispiel von einer Frau, die sich im Westend einen Syrer ins Parterre genommen hat. Lilly hat das Gefühl, dass der Syrer für die richtige Haltung herhalten muss. Solch einen links dekorierten Gestus gibt es auf der Farm in Antalya nicht, vielleicht ist also diese Lilly-Beobachtung eine meiner Reaktionen.
Warum ist die Uraufführung nicht wie geplant am BE?
Weiß ich nicht. Als dem Deutschen Theater das Angebot vorlag, hat Ulrich Khuon, der Intendant, innerhalb von drei Tagen den Spielplan für die Uraufführung umgestellt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Ihr letztes Stück liegt fünf Jahre zurück. Warum die langen Pausen?
Ich bin kein Schnellschreiber. Und ich glaube auch nicht, dass man als Künstler jedes Jahr mit irgendwas herauskommen muss, um nicht vergessen zu werden. Die letzte Pause kam auch zustande, weil ich Vater geworden bin und meinen Sohn einfach interessanter finde. Und ich habe mit Oliver Reese natürlich die Leitung des Berliner Ensembles vorbereitet.
Dort haben Sie das „Autorenlabor“ geleitet; Schriftsteller sollten beim Schreiben begleitet werden, neue Stücke mit Anbindung ans Theater entstehen. Nach neun Monaten kam das Aus wegen „unterschiedlicher künstlerischer Auffassungen“. Es soll geknallt haben zwischen Ihnen und Reese …
Mich nervt diese Frage, ehrlich gesagt. Das ist nicht Ihre Schuld. Beim Versenden der Pressemitteilung, dass wir uns im Sommer getrennt haben, hatte das BE offensichtlich Probleme, sodass ich jetzt ständig alles erklären soll, das ist sehr unnötig. Es gab allgemeine künstlerische Differenzen. Punkt. Ich kann es noch übersetzen in: Wir waren nicht immer einer Meinung.
Was war Ihre ursprüngliche Vision vom Autorenlabor?
Autoren im Vorfeld mit Regisseuren und Schauspielern näher zusammenzubringen, damit so etwas wie eine Bindung entsteht und Texte nicht so im Haus herumschweben und von einem Regisseur oder einer Regisseurin zur nächsten weitergereicht werden, bis sie am Ende auf der kleinsten Bühne landen. Es ist nicht immer leicht, Regisseure für einen produktiven Umgang mit Gegenwartstexten zu finden. Ich verstehe total, dass Regie, besonders an großen Häusern, auch formal und ästhetisch forciert sein muss, ja dass nach lustvoller, manchmal sogar kämpferischer Reibung mit Texten gesucht wird. Was aber eine Uraufführung ganz leise einklagt, ist genau das Gegenteil. Dieses Gegenteil hinzubekommen ist schwierig.
Weil Regisseure sich mit einer „prägnanten Handschrift“ profilieren wollen, die das Stück im schlimmsten Fall unkenntlich macht?
Weil es vermutlich schwer ist, sich leiser hinter die Geschichte, die Figuren zu stellen, um das Stück von innen heraus zu erzählen, das natürlich im Gegensatz zum reibungsfähigen Klassiker kein Mensch kennt. Das ist ein ganz anderer Gestus, eine Art charmantes, nobles Zurücktreten – aber es bleibt dennoch viel Arbeit übrig für die Regie. Nämlich auf etwas unsichtbarere Art als sonst eine neue Geschichte zu erzählen. Man braucht bei einer prägnanten Handschrift eines Regisseurs und einer prägnanten Schrift eines Autors auf beiden Seiten Nachsicht, Zuneigung und Größe, von sich abzusehen, ohne sich dabei zu verleugnen.
Werden Sie das Autorenlabor woanders fortführen?
Es gab verschiedene Anfragen. Ich bin aber froh, dass es am BE offenbar weiterexistiert, die Idee ist ja gut.
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