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berliner szenenDas Lächeln und meine PIN

Es ist grad mal acht Uhr und ich hab schon fünf Leute angelächelt und fünf Leute mich. Komisch ist das, denn sonst gibt’s doch noch nicht mal zehn Lächeln pro Tag. Das ist mir suspekt. Ganz grimmig guck ich auf einmal, aber nicht lange. Da lächelt schon wieder einer!

Vielleicht liegt es an der Umgebung – sagt man ja so: Sport setzt Endorphine frei, macht glücklich und so. Denn ich bin im Fitnessstudio, und auch das ist mir ein bisschen suspekt. Denn es ist schon das dritte Mal diese Woche, und das dritte Mal früh um acht. Vielleicht hat das Lächeln ja mit der Uhrzeit zu tun, überleg ich, als ich mich umzieh. Aber gestern war ich hier bis um neun, und da kam so ein Schwung Tattoo-Muskelmenschen rein und die haben mich auch angelächelt. Bei denen hätte ich eher gedacht, die geben mir eine aufs Maul, weil Runen-Tattoos sind sonst eher die Bösen; die, die nicht gut damit klarkommen, dass ich pinke Krawatten als Gürtel trag und auch sonst irgendwie anders ausseh. Aber nein: Auch die haben gelächelt.

Im Supermarkt gleich unter dem Studio lächelt keiner, und obwohl mich das beruhigt, finde ich’s auch schade. War doch eigentlich super, so viel zu lächeln. Kaum denk ich das, lächelt schon wieder einer: der an der Kasse, grad als ich meine EC-Karte in den Schlitz stecke. Und er lächelt nicht nur, er sagt auch was: meine PIN. Ganz laut.

Ich zucke zusammen. „Was?“

„18,22“, wiederholt er und zeigt auf das Display, wo steht, wie viel ich zu zahlen hab. Und das ist genau die Zahl, die ich grad eintippen wollte – eben meine PIN. 1822.

Ich schüttele den Kopf. Das ist jetzt echt mal ein komischer Tag: Lächelquote schon früh um acht erfüllt; PIN laut an der Kasse gesagt. Ich glaub, ich geh erst mal nach Hause, versteck mich da und komm erst wieder raus, wenn die Welt sich normal benimmt. Joey Juschka

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