piwik no script img

Musik, diedie Füße in Unordnung bringt

Superdupersoft im Falsett mit deftigem Free-Jazz-Input: Thundercat im Huxleys

Von Julia Lorenz

Das Tolle an Thundercat ist ja, dass er wirklich eine Katze hat. Wissen wir spätestens, seit er dem Tier mit dem prächtigen Namen Turbo Tron Over 9000 Baby Jesus Sally (ja, wirklich!) mit dem Song „A Fan’s Mail (Tron Song Suite II)“ im vergangenen Jahr ein Denkmal setzte: „Everybody wants to be a cat / It’s cool to be a cat“, stellte Thundercat klar, wie zur Bekräftigung maunzte er dazu selbstvergessen. Deshalb ist es gar nicht mal verstörend, wenn eine Gruppe erwachsener Menschen an einem Donnerstagabend im Neuköllner Huxleys plötzlich zum Katzenkonzert ansetzt, um den Kalifornier zu bejubeln: Der weiß ungewöhnliche Mittel bestimmt zu schätzen!

Schließlich ist Stephen Bruner, wie Thundercat mit bürgerlichem Namen heißt, eine der prägenden Figuren im Zirkel um den Experimentalkünstler Flying Lotus und sein Label Brainfeeder, das wie kein zweites für die zeitgenössische Fusion von Jazz und Hip-Hop steht. Und somit für die Wiedergeburt der komplizierten Intello-Musik als Zeitgeistsound für die coolen Kids. Bruner war beteiligt an stilbildenden Platten wie Kamasi Washingtons wahrhaftig epischem Triple-Album „The Epic“ und an Kendrick Lamars Hip-Hop-Meilenstein „To Pimp a Butterfly“. Auf seinem eigenen 2017er-Album „Drunk“ fusionierte er elektrifizierten Soul und Hip-Hop, Seventies-Funk, Yachtrock und frei flottierenden Jazz und blieb dabei erstaunlich anschlussfähig für das Pop-Publikum – obwohl „Drunk“ textlich im Limbo hing zwischen bekiffter Überdrehtheit und Ernüchterung über die Demütigungen, die Schwarze in den USA (und überall) erleiden müssen.

Seltsam eigentlich: Das Huxleys ist an dem Donnerstagabend nicht ganz so restlos gefüllt, wie man es erwarten würde, wenn der schillerndste Bassist von L. A. auftritt. Es bleibt recht viel Halle übrig, in der nicht geschwitzt oder geschmust wird, und auf der Bühne muss das Trio Platz für zehn einnehmen – was im Konzertverlauf, nach dem Auftakt mit „Captain Stupido“, immer besser gelingt: Wenn man nur lang genug ins blutrote Bühnenlicht guckt und Sternchen sieht, kann man schon mal vergessen, dass da bloß drei Leute auf der Bühne stehen, so ganz ohne Blechbläser und Streicher. Im Kräftezentrum thront der Donnermann mit seinem Bass, zu Bruners Linken bedient Dennis Hamm Keyboards und E-Piano, zu seiner Rechten beschleunigt der fünfarmige Justin Brown am Schlagzeug noch den sanftesten Soulschieber in Sekunden zur deliriösen Jazz-Eskapade.

Überhaupt fahren Bruner und seine Band an diesem Dezemberabend im Huxleys die softrockenden Steely-Dan-Anteile ihres Sounds, die „Drunk“ trotz aller Exzentrik so zugänglich gemacht haben, spürbar runter – und den Free Jazz hoch. Statt die Stücke so rasch abzubinden wie auf der von Zwei- bis Dreiminütern geprägten Platte, spielt Bruner wild wuchernde Jams, bevor er zum nächsten Intro seine Stimme erhebt. Und wie! Bruners Falsett hallt nie glasklar nach, sondern kratzt beim Verklingen superdupersoft. Erst im Konzert begreift man in letzter Konsequenz, dass der Mann nicht nur ein großartiger Bassist ist, der Arpeggios umherfliegen lässt wie kleine Kampfsterne, sondern auch ein toller Sänger. Ein unaufgeregter, aber seelenvoller.

Thundercat: ein toller Sänger und ein großartiger Bassist, der Arpeggios wie kleine Kampfsterne umherfliegen lässt

Auch sonst scheint von Bruner eine angenehme Bescheidenheit auszugehen. In seinem orangefarbenen Hoodie ist er keine so extraterrestrische Kunstfigur, wie seine Musik manchmal glauben machen kann, sondern ein respektvoller Performer, der sein Publikum immer wieder mit einem warmen „Love you guys“ bedenkt. Und die Gäste lassen sich weichklopfen von Thundercats Worten und Sound: Spielen ein bisschen Luftbass am Rande des Geschehens. Tanzen, so gut man eben zu Free Jazz tanzen kann, sagen Dinge wie „Sooorry, Babe!“, wenn sie einen kurz am Arm streifen, und lächeln dazu wie bröselndes Biskuit.

Ob gerade alle, die sich von diesem kirre machenden Sound zugleich die Gedankenwogen glätten und die Füße in Unordnung bringen lassen, daran denken, wie oft es bei Thundercat ums Sterben geht? Sowohl sein 2013er-Album „Apocalypse“ als auch die EP „The Beyond/Where the Giants Roam“ von 2015 verhandelten das Thema Endlichkeit, das durch den Tod des Jazzpianisten Austin Peralta – ein enger Freund Bruners – in sein Leben trat. 2018 musste er sich nun vom nächsten Weggefährten verabschieden: dem im September verstorbenen Rapper Mac Miller. Mit den schlichten Worten „Rest in Peace, Mac Miller“ sagt Bruner seinem Freund Lebewohl, dann setzt er zu „Song for the Dead“ an – einem wundervollen Trost- und Katharsis-Song: Während der tiefe Sound des Basses in den Niederungen des Unterbewussten wühlt, simulieren die Keys wilde, vorbeifliegende Gedanken („Smell the space dust“ heißt es im Stück – ja, wir riechen ihn wirklich!). Und Bruner singt vom Tod wie von der Ruhe nach einem harten Tag: „Close your eyes, rest your head – you are dead.“

Es soll der transzendentalste Moment des Abends bleiben: Bald nach dem Totensong und einer kurzen, freundlichen Ansprache läutet Bruner mit einem spitzen Schrei „Friend Zone“ ein, eines der bekanntesten Stücke von „Drunk“. Für eine Zugabe wird er noch zurückkehren. Dann sind alle Katzen müde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen