die woche in berlin
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Auf dem Tempelhofer Feld frieren Flüchtlinge, die Grünen sind in Sachen Verkehr extrem schlecht aufgestellt, die Senats- und Bezirksverwaltungen retten mit ihren Flugmeilen die Moore und die James-Simon-Galerie eröffnet auf der Museumsinsel.

Beherztes Handeln ist gefragt

Flüchtlinge schlecht versorgt im Hangar

Teilhabe und Integration vom ersten Tag an, sowie dies rechtlich möglich ist“: Dieser Leitgedanke des neuen „Gesamtkonzepts Integration und Partizipation Geflüchteter“, das der Senat am Dienstag verabschiedet hat, dürfte Neuankommenden wie Hohn erscheinen. Wochenlang müssen sie im ehemaligen Flugzeughangar, dem sogenannten Ankunftszentrum Tempelhof, ausharren – ohne Geld, ohne BVG-Karte (beides steht ihnen gesetzlich zu), ohne Möglichkeit, einen Arzt, Anwalt oder eine Beratungsstelle aufzusuchen. Sie frieren in der kühlen Halle, in der die Temperatur selbst mittags nur 17 Grad erreicht. Nachts bekommen sie nur dünne Decken und schlafen daher in ihren Kleidern – für die es im Hangar keine Waschmöglichkeiten gibt. All dies hat der Flüchtlingsrat am Montag, einen Tag vor der Präsentation des „Integrationskonzepts“, publik gemacht. Flüchtlinge haben die Vorwürfe gegenüber der taz bestätigt.

Das Zusammentreffen der beiden Ereignisse mag Zufall sein. Dennoch macht die Koinzidenz deutlich, wie weit Anspruch und Wirklichkeit in der Berliner Flüchtlingspolitik auseinanderklaffen. Warum, ist von außen schwer zu durchschauen: Weshalb etwa das Landesflüchtlingsamt (LAF) trotz mehrerer hundert neuer Stellen in den letzten Jahren und gesunkener Flüchtlingszahlen nicht in der Lage ist, die Menschen schnell zu registrieren und in bessere Unterkünfte zu überweisen, bleibt das Geheimnis dieser Behörde.

Aber wenn die zuständige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) an ihrem Anspruch festhalten will, für eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik zu stehen, muss sie handeln. Wenn Menschen frieren und ihnen über Wochen grundlegende Rechte verweigert werden, reicht es nicht zu sagen, sie habe den Hangar ja nie gewollt und in einem Jahr – oder vielleicht in ein paar Monaten – werde es Ersatz geben.

In Berlin stehen neu gebaute Flüchtlingsunterkünfte leer, weil beim LAF wieder mal eine europaweite Ausschreibung für deren Betrieb nicht geklappt hat (aber das ist eine andere Geschichte). Und Berlin hat einen Landesbetrieb, der Anfang 2017 für genau diesen Zweck von Breitenbach gegründet wurde: um im Notfall – damals waren es volle Turnhallen – schnell neue Flüchtlingsunterkünfte in Betrieb nehmen zu können.

Werte Senatorin Breitenbach, handeln Sie so beherzt wie damals: Der Notfall ist erneut eingetreten. Susanne Memarnia

Weshalb das Landes-flüchtlingsamt nicht in der Lage ist, die Menschen in bessere Unterkünfte zu überweisen, bleibt das Geheimnis dieser Behörde

Susanne Memarnia über Geflüchtete, die im Hangar hocken

Trauriges Bild bei den Grünen

Michael Müller mildert Kirchner-Rauswurf

Die Grünen können sich bei Michael Müller bedanken. Ohne den Regierungschef von der SPD und sein Angebot, eine Auffangstelle in seiner Senatskanzlei einzurichten, wären sie und ihre Verkehrssenatorin Regine Günther wegen der Personalie Kirchner noch mehr beschädigt. Schon so wird Günther, egal welche Gründe sie anführt, stets die Frau bleiben, die einen krebskranken, aber wieder einstiegswilligen, äußerst fähigen Staatssekretär entließ. Und die Grünen bleiben die Partei, die das zuließ.

Es war eine Situation, die kein Arbeitgeber erleben möchte: zu der Einschätzung zu kommen, dass der Betrieb zusammenbricht, wenn ein schwer erkrankter Kollege nicht dauerhaft ersetzt wird. Senatorin Günther verpasste es aber, in irgendeiner Weise nach außen zu vermitteln, dass sie nach alternativen Lösungen gesucht hatte. Schon das allein war ein Manko – aber kritische Stimmen gingen sogar so weit zu sagen, sie habe grundsätzlich nicht länger mit Kirchner zusammenarbeiten wollen.

Wenn dem so war, hat das viel damit zu tun, dass die Konstellation an der Spitze der Senatsverwaltung für Verkehr und Umwelt von vornherein schief war. Kirchner als der grüne Fachmann für ein so zentrales Thema wie Verkehr nur auf dem zweiten Posten – dem des Staatssekretärs? Günther mit ihrer Expertise für das auf Landesebene nachrangige Thema Klima als Chefin? Das konnte nicht klappen.

Die grüne Parteispitze beteuert, man habe über Monate nach einer Vertretungslösung gesucht, um Kirchner im Amt halten zu können. Wenn das stimmt, ist es wiederum ein Armutszeugnis für die Grünen: In einem über 7.000 Mitglieder starken Landesverband mit aktuell 23 Prozent der Wähler im Rücken soll sich kein einziger Experte gefunden haben, der bereit wäre, an der Spitze der Senatsverwaltung auszuhelfen?

Es ist traurig, was die noch traurigere Erkrankung Kirchners da offenbart. Gut allein ist, dass Berlin weiter von ihm profitieren kann. Wie viel grüne Verkehrspolitik ihn die SPD-geführte Senatskanzlei in ihrer Zentrale machen lässt, wo Kirchner für Mobilität zuständig sein soll, ist eine andere Frage, aber eine weniger traurige.

Stefan Alberti

Mal eben nach Köln fliegen

Verwaltung setzt auf Flugzeug statt Bahn

Fliegen schützt die Artenvielfalt: Dass es dem Rundblättrigen Sonnentau, der Gewöhnlichen Moosbeere und dem Scheidigen Wollgras immer besser geht in Berlin, ist den Dienstflügen der Senats- und Bezirksverwaltungen, Polizei, Feuerwehr und Landesämtern zu verdanken. Unter dem Motto „Miles for Moor“ spenden sie pro Flugkilometer ihrer MitarbeiterInnen einen Betrag an die Stiftung Naturschutz Berlin, und die renaturiert damit trockengefallene Moore wie die Kleine Pelzlaake im Köpenicker Forst.

Auf stiftung-naturschutz.de/klimaschutzabgabe lässt sich anschaulich verfolgen, wie so ein verwaldetes Moor behutsam von Kiefern und Birken befreit und Entwässerungsgräben verfüllt werden, worauf sich die Flächen wieder vernässen und mit Torfmoosen sowie den oben genannten Pflanzen besiedeln. Der Clou: Ein funktionierendes Moor leistet aktiven Klimaschutz, denn was dort wächst, sinkt ab und verrottet nicht – das gebundene CO2 bleibt gespeichert.

Natürlich war der Einstiegssatz nicht ganz ernst gemeint. Denn auch wenn jeder gerettete Quadratmeter Moor dem Klima guttut, ist die klimafreundlichste Flugmeile eine, die nicht angetreten wird. Und – wie die Grünen zu Recht sagen, die eine entsprechende Anfrage gestellt hatten – dass die Berliner Verwaltung im Jahr rund 3.000 Flüge absolviert (Tendenz steigend), von denen mehr als ein Drittel innerdeutsche Verbindungen sind, ist alles andere als ökologisch vorbildlich.

Natürlich sind die Gründe, warum geflogen wird, unterschiedlich. Wenn der Regierende Bürgermeister eine Konferenz in Peking besucht oder einE VertreterIn von Friedrichshain-Kreuzberg die nicaraguanische Partnergemeinde San Rafael del Sur, lässt sich das nicht sinnvoll ohne Flugzeug leisten. Wenn allerdings die Finanzverwaltung darauf pocht, dass Inlandsflüge gebucht werden, solange sie weniger kosten als ein Bahnticket, leuchtet das fiskalisch zwar ein, hat aber eine negative Symbolwirkung. Hier wird wieder einmal deutlich, was verkehrspolitisch schiefläuft, wenn das extrem klimaschädliche Fliegen dank Subventionierung die billigste Reisevariante ist.

Das dürfte auch für viele der Flüge gelten, die die Bilanz der Senatsbildungsverwaltung auf gut 1.000 im Jahr aufblasen. Darin sind nämlich alle enthalten, die Lehrer im Rahmen von Klassenreisen tätigen. Auch hier werden viele dem Kostendruck geschuldet sein. Der Fall allerdings, dass aus reiner Bequemlichkeit geflogen wird, sollte gar nicht vorkommen. Klimasünden kann man sein ganzes Leben noch begehen, damit muss man nicht schon in der Schule anfangen. Claudius Prößer

Tempel der Bildung ist fertig

Die James-Simon-Galerie ist gelungen

Die James-Simon-Galerie, die in der vergangenen Woche fertig geworden ist, soll die inzwischen jährlich knapp drei Millionen Besucher auf der Museumsinsel neu organisieren. Und das ist dringend notwendig. Denn es kommen immer mehr, das Museumsquartier boomt. Am Donnerstag nahm die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Schlüssel bei einer feierlichen Übergabe entgegen. Im Sommer soll sich die Galerie dann dem Publikum öffnen.

Der „Schnelldurchlauf“ für die Bustouristen durch die Museen des Unesco-Weltkulturerbes, der 1999 mit dem Masterplan für die Museumsinsel beschlossen wurde, mag mit dem hehren Bildungskonzept des 19. Jahrhunderts auf den ersten Blick nicht kompatibel scheinen. Mittels einer archäologischen Promenade als unterirdischer Verbindung der Museen untereinander sollen 6.000 Jahre Menschheitskultur in einer halben Stunde vermittelt werden? Sich das anzutun, wird man auch in Zukunft niemand zwingen können. Aber der Museumsbesuch als Massen­event, das lässt sich nun mal nicht mehr rückgängig machen. Wichtig und gut ist jedoch, dass demnächst neben dem High-Speed-Touristen auch der eher kontemplativ gestimmte Besucher auf seine Kosten kommt. Dazu dient die James-Simon-Galerie, weil sie die alte Bausubstanz der Museen von vielen Serviceaufgaben entlastet.

Aber Architekt David Chipperfield leistet mit seinem neuen Bau mehr: Er überhöht den Museumsbesuch zum Eintritt in den Tempel einer Bildungsreligion. Der ins Moderne gewendete Rekurs auf klassische Formen mit Sockel, Säulenumgang und Freitreppe nimmt den Ursprung des Berliner Museumsgedankens auf. Chipperfield war immer daran gelegen, Moderne und Gegenwart, Notwendigkeit und Funktionalität miteinander zu versöhnen. Das ist hier gelungen! Chipperfield hat ein Haus gebaut, das sich ästhetisch einpasst und doch Eigenständigkeit beweist, das die Tradition des Erhabenen beerbt und doch praktisch funktioniert mit Garderobe, Shop, Ausstellungshalle, Auditorium.

Nun wäre es dringend an der Zeit, dass Berlin seinerseits Lösungen schafft, wie es in Zukunft die wachsenden Menschenmassen (und ihre Reisebusse) rings um Museumsinsel und Humboldtforum verkehrlich und räumlich organisieren will. Ronald Berg