: „Krätze hat nichts mit mangelnder Hygiene zu tun“
Jana Husemann ist niedergelassene Hausärztin in Hamburg und behandelt regelmäßig Patient*innen mit Krätze. Sie erklärt, was die Menschen eklig an der Krankheit finden und wie einfach sie zu behandeln ist
Jana Husemann
36, ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und niedergelassen in einer Gemeinschaftspraxis in Hamburg St. Pauli.
Interview Marthe Ruddat
taz: Frau Husemann, was ist eigentlich Krätze?
Jana Husemann: Krätze, medizinisch nennen wir sie Scabies, ist eine Hautkrankheit, die durch Milben verursacht wird. Die weiblichen Milben dringen in die oberste Hautschicht ein und graben da eine Art Tunnelsystem, in das sie ihre Eier legen. Wenn die Larven geschlüpft sind, krabbeln sie an die Oberfläche und entwickeln sich zu geschlechtsreifen Milben und es beginnt quasi ein neuer Zyklus.
Wenn sich nur die weiblichen in die Haut graben, was machen die männlichen?
Die sterben, wenn sie die Weibchen auf der Hautoberfläche begattet haben.
Kann ich Krätze bekommen, wenn ich mich nicht genug wasche?
Nein, genauso wie bei Läusen handelt es sich bei Krätze schlicht um einen Parasitenbefall, der nichts mit mangelnder Hygiene zu tun hat und jeden betreffen kann. Man kann sich mit viel Waschen nicht vor einer Ansteckung schützen und wenig Waschen macht die Ansteckung nicht wahrscheinlicher. Allerdings sind bei unhygienischen Verhältnissen von infizierten Personen mehr Milben auf der Haut und dadurch wird eine Übertragung wahrscheinlicher.
Und wie steckt man sich an?
Es braucht engen Haut-zu-Haut-Kontakt für etwa fünf bis zehn Minuten, um sich anzustecken. Das passiert beispielsweise unter Paaren oder Geschwistern, aber auch in Pflegeheimen, wo einfach oft enger Körperkontakt herrscht.
Also kann ich mich nicht im Wartezimmer anstecken, wenn meine Sitznachbarin oder mein Sitznachbar Krätze hat?
Nein, da muss man wirklich keine Angst haben. Theoretisch ist eine Ansteckung beispielsweise auch über Gegenstände möglich. Aber das ist wirklich eher theoretisch und sehr unwahrscheinlich, weil sich die Milben außerhalb der Haut sehr langsam bewegen und nach ein bis zwei Tagen außerhalb des Körpers absterben.
Wenn ich Krätze habe, dann juckt es mich am ganzen Körper?
Nein, meistens graben sich nur etwa zehn bis 15 Milben in die Haut ein. Sie suchen warme Hautstellen, die dünne Hornhaut haben. Typische Stellen sind unter den Achseln, zwischen den Fingern, im Genitalbereich oder um den Bauchnabel oder die Brustwarzen herum. Das gemeine Jucken ist die Immunantwort des Körpers auf den Milbenbefall. Dadurch kann noch ein anderer Ausschlag hinzukommen. Das sind dann meistens kleine rote Pickelchen, die auch an anderen Körperstellen auftreten können.
Sie sind Hausärztin und haben Patient*innen mit Krätze. Sollten die Menschen nicht lieber gleich zum Hautarzt gehen?
Wenn die Menschen einfach einen Juckreiz haben und nicht wissen, was das ist, dann sind Hausärzte meist die erste Anlaufstelle. Die sind mit ihren offenen Sprechstunden einfach leichter zu erreichen als Hautärzte und können Krätze meist auch problemlos diagnostizieren.
Die Milben sind doch aber so winzig. Ist die Diagnose so einfach?
In den meisten Fällen ist es wirklich eine eindeutige Blickdiagnose, die durch die Schilderungen der Patienten ergänzt wird. Man sieht die typischen Milbengänge und Hautveränderungen. Wenn sich ein Arzt nicht sicher ist, dann überweist er zum Hautarzt, der dann mit Hilfe einer speziellen Lupe oder eines Mikroskops die genaue Diagnose stellen kann.
Wie wird Krätze behandelt?
Die sogenannte Erstlinienbehandlung ist eine Creme. Die wird abends auf den ganzen Körper aufgetragen und muss dann acht Stunden einwirken. Nach diesen acht Stunden spült man die Creme ab und dann ist man auch nicht mehr ansteckend. Falls das nicht geht oder befürchtet wird, dass die Creme nicht sorgfältig angewandt wird, dann gibt es auch noch die Möglichkeit, eine Tablette zu nehmen. Die wirkt aber auf den ganzen Körper und kann deshalb mehr Nebenwirkungen haben. Deshalb wird es meistens erst mit der Creme versucht.
Eine Creme und schon ist alles wieder gut?
Man sollte auch alles, was eng am Körper ist, bei 50 bis 60 Grad waschen, also die Kleidung, Bettwäsche und Handtücher. Bei einem kleinen Kind schließt das auch Stofftiere mit ein. Wenn man nicht waschen kann, kann man die Kleidung auch für drei Tage in einem geschlossenen Plastiksack lagern. Wenn nach der Behandlung nach zwei Wochen neue Hauterscheinungen auftreten, ist eine Wiederholung notwendig. In den meisten Fällen ist die einmalige Behandlung aber ausreichend.
Wenn ein Familienmitglied Krätze hat, sollen sich dann alle anderen Familienmitglieder prophylaktisch auch behandeln?
Da gibt es keine einheitlichen Vorgaben. Enge Kontaktpersonen sollen zumindest darüber informiert werden, dass sie bereits in der Inkubationszeit, also noch bevor Symptome vorliegen, andere Personen anstecken können. Intensive Hautkontakte sollten sie deswegen in der Regel für fünf bis sechs Wochen vermeiden, auf die typischen Symptome achten und beim Auftreten entsprechender Krankheitszeichen umgehend zum Hausarzt gehen.
Es heißt, die Krätze war schon ausgerottet und ist jetzt wieder da. Stimmt das?
Ganz weg war die Krätze nie. Aber es ist schwierig zu sagen, ob sie wieder auf dem Vormarsch ist, weil es keine genauen Zahlen gibt. Das liegt daran, dass die Krankheit nicht meldepflichtig ist, außer sie tritt in Gemeinschaftsunterkünften auf.
Also wissen wir gar nicht, wie viele Menschen wirklich die Krätze haben?
Wir können behelfsmäßig Daten aus Krankenhäusern betrachten. Die zeigen, dass es seit dem Jahr 2000 ein wellenförmiges Auf und Ab an Neuerkrankungen gab. Woran das liegt, weiß niemand so genau. Das Robert-Koch-Institut hat 2016 bei den Gesundheitsämtern nachgefragt, wie viele Krätzefälle sie im Vergleich zu 2015 hatten. Das ergab ein total uneinheitliches Bild. Einige Gesundheitsämter hatten gar nicht geantwortet, bei manchen hatten die Krätzefälle zugenommen, bei anderen abgenommen. Deswegen kann man da wirklich keine genaue Aussage treffen.
Gibt es eine bestimmte Personengruppe, die häufiger an Krätze erkrankt als andere?
Bei mir in der Praxis zieht sich die Erkrankung quer durch alle Schichten und Altersstufen. Wir hatten schon Babys mit Krätze, genauso war der privat versicherte Lehrer betroffen.
Ein AfD-Politiker behauptete vor Kurzem, dass es durch Geflüchtete wieder mehr Krätzeerkrankungen gibt.
Natürlich haben auch Geflüchtete Krätze. Aber es hat nichts mit ihnen zu tun, wenn es in Deutschland wieder vermehrt zu Krätzeerkrankungen kommt. In vielen Regionen, aus denen Menschen flüchten, ist Krätze endemisch, das heißt, sie tritt viel häufiger auf als bei uns. Die engen Verhältnisse auf der Flucht können sicherlich dazu beitragen, dass sich mehr Geflüchtete anstecken. Aber wenn sie in Deutschland in einer Unterkunft aufgenommen werden, dann werden die Menschen wirklich gut untersucht und im Krankheitsfall auch behandelt.
Bei Läusen und Krätze handelt es sich um einen Parasitenbefall. Trotzdem scheint bei Krätze der Ekelfaktor deutlich größer zu sein. Haben Sie eine Idee, woran das liegen könnte?
Ich glaube, das liegt daran, dass viele Menschen immer noch denken, dass Krätze etwas mit mangelnder Hygiene zu tun hat. Das hat es aber nicht. Die Krätzemilben kann man manchmal sogar unter der Haut sehen, sie werden bis zu einem halben Millimeter groß. Und das gemeinsam mit der Vorstellung, dass da etwas auf oder in einem lebt, ist das, was so eklig ist.
Wir haben doch aber sonst auch Mikroorganismen auf der Haut.
Das sind Bakterien und die machen im Regelfall ja keine Beschwerden. Und diese Bakterien sind so klein, dass sie sich der Vorstellungskraft entziehen. Ich glaube, es ist deutlich ekliger, wenn man einen beweglichen Punkt unter der Haut sieht, als wenn man an die Millionen Bakterien denkt, die auf einem leben, von denen man aber nichts mitbekommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen