piwik no script img

Mit Tatschen und Quendel

Die Winterküche der Alpen ist vor allem ein Energielieferant für anstrengende Tage. Junge Köche modernisieren die traditionellen Gerichte mit weniger Fett und mehr Wildkräutern

Die winterlichen Alpen sind schön, machen aber ganz schön hungrig Foto: Barbara Schaefer

Von Barbara Schaefer

Foraging ist das neue heiße Ding in der alpinen Winterküche. Dabei handelt es sich nicht um einen neuen Thermomix, sondern bloß um Futtersuche, so die Übersetzung. Das bedeutet: Der Koch spaziert in den Wald und sucht was zu essen. Im Winter würde er nicht viel finden, deshalb beginnt er im Herbst, dann wird eingelagert, getrocknet, fermentiert. Österreichische Haubenköche wie Jeremias Riezler und Vitus Winkler sammeln im Wald deutlich mehr ein, als es das traditionelle Pilzprogramm hergibt. Sie suchen Moose, Flechten, Tannenwipfelsprossen und Tatschen. Auch Quendel kommt ins ­Sackerl.

Wer das alles nicht versteht, muss sich nicht wundern. Nicht einmal allen Österreichern sind diese Ausdrücke geläufig, es wird eben in den abgelegenen Tälern so manch isolierter Dialekt gesprochen. Tatschen sind Kiefern-, Zirben- oder Tannenzapfen, und Quendel ist auch als Bergthymian bekannt.

Die heutige alpine Winterküche kann man in zwei Kategorien einteilen. Zum einen sind da Gerichte nach und zum Wintersport, zum andern Festtagsmenüs, denn fine dining ist natürlich längst in den Alpen angekommen.

Ein Großteil des Wintersport­essens ist Tablettware, also das, was Skifahrer in Skischuhen stolpernd auf Serviertabletts von der Selbstbedienungstheke an den Tisch manövrieren. Davon soll hier nicht die Rede sein.

Stellen wir uns sportliche Winterwanderer oder Schneeschuhgeherinnen vor. Ein paar Stunden sind sie durch die Winterlandschaft gestreift, nun kehren sie ein in eine Stube. Im besten Fall zirbenholzgetäfelt. Die Wangen glühen, der Magen knurrt. Gut, dass es hier die alten Speisen noch gibt, die schon früher im Winter im harten Bergleben die Energiezufuhr gewährleisteten.

Was zum alpinen Winterprogramm gehörte? „Schlutzkrapfen, Tafelspitz und vor allem das Muas“, erinnert sich Vitus Winkler, junger Drei-Hauben-Koch aus Oberösterreich, ein Strahlemann mit leicht ergrautem Strubbelhaar. Im Winter haben die Alpenbewohner traditionell im Wald gearbeitet oder mit Schlitten das Heu von den Hochweiden zu Tal gebracht. Eine gefährliche und anstrengende Arbeit, „die Männer haben viele Kohlehydrate gebraucht“. Aus Milch, Mehl und Weizengries wurde das Muas in flachen Pfannen angerührt, und so viel Butter wie möglich kam darüber. Auch die Schlutzkrapfen, eine Art Ravioli mit Kartoffeln gefüllt, mit Käse bestreut, galten dann als gut, wenn sie in Butter schwammen. „So war es auch nach dem Krieg. Hauptsache, viel, weil man es sich wieder leisten konnte.“

Mit diesen schwergängigen Gängen hat Winkler nicht mehr viel zu tun. Er kocht mit weniger Butter, nutzt Dinkel- und Vollwert- statt Weißmehl, die Zutaten sind streng regional. 70 Wildkräuter zieht er in seinem Garten, dann muss er nicht so oft in den Wald zum Suchen. Der Quendel sei perfekt für Wintergerichte, „gesund und schmackhaft“, und schließlich sei Thymian ein probates Hustenmittel.

Seine Gäste sind anspruchsvoller geworden. „Vegan, glutenfrei, jede Woche mindestens ein Sonderwunsch. Klar, ist schon anstrengend, aber wir sind darauf vorbereitet.“ Und während sich der eine Tisch noch fragt, woraus diese grauen, essbaren Steinen vom Amuse gueule waren, stecken sie am Nachbartisch verwundert die Gabeln in Winklers vegane Variante des alpinen Klassikers, dem Kaiserschmarrn. Lässt sich der auch modernisieren? Da stoße auch ein Haubenkoch an Grenzen, da der hauptsächlich aus Ei und Milch bestehe. Winkler rührt ihn aus Hafermilch, Kokosmilch und Weinsteinbackpulver statt Ei an.

Jeremias Riezler aus Vorarlberg hingegen hat sich dem Mais verschrieben, im Walser-Dialekt Stopfer genannt, da weiß man auch gleich, dass er vor allem eins war: Sättigungsbeilage. Dazu gab’s meist: nichts. Für den Riebel wurden Mais- und Weizengrieß in Milch zum festen Brei aufgekocht und mit Butter oder Schmalz in einer Pfanne gebacken, bis er klumpt. Zum Frühstück verzehrte man es rund um den Tisch sitzend aus der gusseisernen Pfanne. Riezler trägt einen grauen Öhi-Bart und Ohrring. 38 Jahre ist er alt, zitiert das alles nur noch, und serviert leichte Varianten. Zum Nachtisch empfiehlt er „an Bolla Riebelmais-Eis“.

Noch ein Abstecher nach Osttirol, da kocht Josef Mühlmann im Gannerhof für müde Langläufer. Er hat auswärts gelernt, „dann hatte ich genug von Jakobsmuscheln.“ Bei ihm dreht sich viel ums Einrexen: „Einwecken, Dörren, Salzen, Räuchern – von den alten Methoden ging nichts verloren.“ Ersonnen wurden sie alle, um die karge Ernte des Sommers über den Winter zu bekommen. Geschlachtet wurde auch im Winter, und an ein Gericht erinnert er sich, das bei ihm nie auf die Karte kommt. „Kuttelsuppe, ich habe einmal in so einen Kutteltopf hineingerochen, mir hat es so gegraust.“ Aber Hirn, Leber, Herz, das koche er alles mit Leidenschaft. Und nur im Winter serviert er Rübenkraut, „das war der Vitamin-C-Lieferant, es wird geschnitten, dadurch werden die Enzyme aufgebrochen, dann mit Salz und Zucker – der startet den Gärvorgang – in einem Fassl im Erdäpfelkeller eingelagert.“

Die Pilze, die holt Mühlmann selber. „Ich habe eine alte KTM, eine Gelände-Motorrad, da kommen meine beiden kleinen Kinder drauf, eines auf den Tank, eines hinter mich, und dann tuckern wir hoch. Pilzsammeln ist super.“

Und da wir schon in den Alpen unterwegs sind, unternehmen wir noch einen kulinarischen Abstecher ins Trentino. Dort wird außer der allgegenwärtigen Pasta auch Risotto mit Pilzen serviert. Oder Orzotto – eine Art Risotto mit Gerstengraupen statt Reiskörnern. Als Absacker bietet die Küche dort Bombardino und Parampampoli. Für den Bombardino rührt man Eierlikör, Weinbrand und Milch in ein Glas und dekoriert es mit Sahne. Der Parampampoli ist eine Alternative mit ähnlicher Wirkung. Erfunden hat ihn in den 1950er Jahren der Wirt einer Berghütte im Valsugana, ein Gemisch aus Espresso, Grappa, Wein und Karamellzucker, gekrönt von blau züngelnden Flammen, serviert in einer Espresso-Tasse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen