berliner szenen: Fragile Ensemble unterwegs
Ein merkwürdiges Gespann versperrt mir auf dem Hauptweg quer durch den Görli auf ganzer Breite die Vorbeifahrt. Mit dem Rücken zu mir: eine Frau, ein Kind, ein kleiner Hund. Ich glaube schon, dass sie merken, dass ich gern passieren würde, doch sie haben offenbar mehr als genug mit sich selbst zu tun. Das kleine Mädchen stolpert, wie es aussieht, zum ersten Mal in seinem Leben, auf Inline-Skates dahin; die Frau hält es fest, um zu verhindern, dass es stürzt. Das Hündchen sichert, durch weitestmögliches Spannen seiner Leine linkswärts, das desperate Tridem nach hinten ab. Ich bremse bis unter Schrittgeschwindigkeit.
Als ich versuche, mich irgendwie vorbeizuschummeln, steckt der Hund geschickt seinen Schwanz zwischen die Speichen meines Vorderrads und vereitelt so endgültig mein Fortkommen – routiniert und höchst effizient. Er macht das alles, ohne hinzusehen, ein ähnlich brillanter Move wie ein No-Look-Hackentrick direkt in den Lauf des heraneilenden Mitspielers. Mit der vom Hund erzwungenen Muße gucke ich nunmehr genauer hin. Auf einmal bewerte ich die Konstellation völlig neu, sehe die Rollen umgewichtet und mache eine deutlich andere Dynamik in der Gruppe aus: Denn was ich zunächst für die Mutter hielt, dürfte doch eher die Großmutter sein. Auch denke ich nun, dass sie sich mehr auf das Kind stützt als umgekehrt, beziehungsweise stützen sie sich wohl gegenseitig aufeinander, die mit den Skates ungeübte Kleine und die offenbar gehbehinderte Frau, die obendrein – da bin ich mir inzwischen sicher – nicht unbeträchtlich angetrunken ist. Der winzige Kläffer, der das fragile Ensemble mit hohem Einsatz davor beschirmt, wie Dominosteine übereinanderzupurzeln, trägt übrigens so eine trichterförmige Halskrause wie nach einem Unfall. Die scheinen das öfter zu machen. Uli Hannemann
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