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Hymnen für Zweifler

Berliner Klangperlen am Mittwoch im Humboldthain: der Avantgarde-Pop des Trios Tellavision traf auf die zerschredderten Werbejingles von Schwund

Von Robert Mießner

Wer hat Pac-Man Acid zu futtern gegeben? Zur Erinnerung: In dem klassischen, Kindern der 80er vertrauten Videospiel muss der Gamecharakter – seine Figur erinnert nicht umsonst an eine Pille – in einem Labyrinth Punkte fressen, während er von Geistern verfolgt wird. Dazu gibt es Musik, ihre Sounds oszillieren irgendwo zwischen Kirmesloops und Kurzwellensurfen.

Ähnliches war am Mittwoch in den verwinkelten Katakomben des Clubs Humboldthain unter dem gleichnamigen S-Bahn­hof im Wedding zu hören: Pac-Man, in der Tat, dabei sechsmal schneller als Brot! Das ist nun keine Illusion oder gar Halluzination, sondern der Titel, mit dem der junge Synthpunk-Musiker Schwund sein Set beendete. Schwund, bürgerlicher Name hier nicht vonnöten, vom Haarschnitt und Habitus erinnert er an einen Kreuzberger Hausbesetzer, verortet sich in der „Kassettentäter“-Szene der frühen 80er: Synthesizer dürfen, nein sollen bratzig klingen, puckern, fiepen und brettern.

Das taten sie auch, und das wusste zu gefallen. Schwunds Texte, heißt es, stünden in der dadaistischen Tradition der Neuen Deutschen Welle. Dass sie inmitten der Elektrosounds so gut wie nicht zu vernehmen waren, mag ebenfalls Dada geschuldet gewesen sein: Ob die Zuhörer von Hugo Balls Lautgedicht „Karawane“, 1916 im Züricher Club Voltaire, tatsächlich verstanden haben, sei dahingestellt. Abhilfe verschafft Schwunds Bandcamp-Seite, die seit Ende Oktober ein Album mit dem Titel „Stix Token“ bereithält: Sage und schreibe 42 Tracks, alle um die Ein-Minuten-Marke herum, zerschredderten Werbejingles ähnlich. „Erstmal Kybernetik“ heißt eines dieser Schwund-Stücke, andere „Im Pelz“ und „Haulust“. Auch nicht schlecht: „Neue Unform“.

Konzeptioneller geriet das zweite Set des Abends: Wo Schwund Lederjacke über einem schwarzen, ärmellosen T-Shirt trug, hatte sich das Trio Tellavision in weiße Bühnengarderobe mit schwarz abgesetzten Nähten und Revers geworfen, irgendwo zwischen Arztkittel und Gehrock. Und wo sich Schwund als Einzelkämpfer über seine Keyboards beugte, nahmen Tellavision Platz an Synthesizern, Bass und Schlagzeug. Tellavision sind die Musikerin, Künstlerin und Labelbetreiberin Fee Kürten, sie hat das Projekt 2010 ins Leben gerufen und jetzt mit Andreas Bonkowski und Robert Kretzschmar zur richtigen Band aufgestockt.

Gleich der zweite Song ihres Auftritts wurde zur heimlichen Hymne für Zweifler sämtlicher Glaubensrichtungen: „You can’t walk on water / But you can swim in it“, Du kannst nicht übers Wasser gehen, aber in ihm schwimmen.

Dazu eine Musik, die aufs Schönste beweist, dass der beste Pop aus der Avantgarde kommen kann: Bei Tellavision sind die elektronische Seite des 70er-Krautrocks ebenso zu hören wie der vertrackte Trip Hop der 90er, sphärische Keyboards und schlingernde Rhythmen in Mid-Tempo. Wie einer davon entstand, konnte man am Mittwoch sehen und hören: Robert Kretzschmar spielte auf seinem minimalistisch aufgebauten Drumset einmal die Snaredrum, dann die darauf gelegte Kuhglocke mit zwei, drei Akzenten an, bevor er mit einem schwarzen Röhrenobjekt – war er kurz vorher beim Baumarkt gewesen? – der Standtom einen wuchtigen Paukensound entlockte.

Später dann ein zerkratztes Klagelied zur Gitarre, von Kürten solo dargeboten. Drei Platten gibt es bis dato von Tellavision, zur letzten, tollen „The Third Eye“ ein Remix-Tape, des Weiteren EPs und Singles. Demnächst dann hoffentlich „Matchbox“ und „The Laboratory“, zwei der neuen Tellavision-Stücke, die im Humboldthain zu hören waren: im Handumdrehen robust und filigran.

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