: Dutschkes redliche Erben
Bethanien-BesetzerInnen sprengen Sitzung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg. Mehrere Stunden diskutieren sie von der Tribüne aus mit Abgeordneten. Debatte um Umbenennung der Koch- in Rudi-Dutschke-Straße auf Montag vertagt
Hätte Rudi Dutschke – selbst subversiv veranlagt – diese Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg mitbekommen, er hätte sich im Grabe umgedreht – vor Freude.
Fast drei Stunden lang debattierten die Abgeordneten der BVV am Mittwochabend. Aber nicht über die Themen, die auf der Tagesordnung standen, wie etwa die Umbenennung der Koch- in Rudi-Dutschke-Straße. Den Anwesenden ging es allein um die Frage, wie die Transparente über ihren Köpfen beseitigt werden. Denn auf der Zuschauertribüne im BVV-Saal saßen etwa 20 BesetzerInnen des Künstlerhauses Bethanien. Sie hatten an das Geländer zwei vier Meter lange Spruchbänder gehängt, um gegen die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei) zu protestieren. „Yorck 59 forever“ stand auf einem geschrieben.
Reinauer hatte einen Tag zuvor die BesetzerInnen aufgefordert, das Künstlerhaus bis Ende Oktober zu verlassen. Die meisten sind ehemalige BewohnerInnen des Hausprojekts „Yorck 59“, das der Eigentümer im Juni räumen ließ. Daraufhin hatten sie sich im leer stehenden Seitenflügel des Bethaniens eingenistet.
Das Bezirksamt tolerierte diese Aktion zunächst, um Verhandlungen über ein Nachfolgeprojekt nicht zu gefährden. Doch am Dienstag warf Reinauer die Brocken überraschend hin. Die BesetzerInnen hätten sie bei einem gemeinsam vereinbarten Termin Ende Juli sitzen gelassen, ihre Geduld sei am Ende, die Verhandlungen damit abgebrochen, ließ sie ihnen mitteilen.
Die DemonstrantInnen beschimpften Reinauer auf der BVV-Sitzung als „Lügnerin“. Sie habe von vornherein kein Interesse an einer Einigung gehabt, sondern wolle das Gebäude viel lieber an einen Privatinvestor verscherbeln. In einem offenen Brief forderten sie gestern das Bezirksamt auf, die Verhandlungen wieder aufzunehmen.
Nach der Störaktion am Mittwoch dürften die Chancen für eine Neuaufnahme jedoch schlecht stehen. Die CDU-Vertreter weigerten sich, die BVV-Sitzung fortzuführen, solange die Transparente hingen. Laut Geschäftsordnung sind politische Äußerungen von BesucherInnen verboten – sie könnten das Abstimmungsverhalten beeinflussen.
Ausgerechnet der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Knut Mildner-Spindler, versuchte zu vermitteln. Von einer gewaltsamen Räumung habe die Bezirksbürgermeisterin ja überhaupt nicht gesprochen, beschwichtigte der Bezirkspolitiker. Er heizte die Stimmung unter den DemonstrantInnen aber nur noch mehr auf, als er zu verstehen gab, dass die Verhandlungen tatsächlich gescheitert sind. „Das Bezirksamt hat einen Beschluss gefasst und der ist irreversibel“, teilte er ihnen mit. Das war deutlich.
Anderthalb Verhandlungsstunden später trat der Ältestenrat der BVV zusammen und beschloss nach kurzer Beratung, die Sitzung auf kommenden Montag zu verschieben. Dann aber wahrscheinlich ohne die Bethanien-BesetzerInnen – sosehr Rudi Dutschke mit ihnen sympathisiert hätte. FELIX LEE