: Religion als Bildungsgut
Bildung In einer Podiumsdiskussion über Religionsunterricht machen SchülerInnen klar, dass sie keine Hilfe bei der Identitätsfindung brauchen, sondern Informationen über andere Glaubensgemeinschaften
Daniel, Gesamtschule Ost
Manfred Spieß war schon bei vielen Diskussionen über den Religionsunterricht in Bremen. Der ehemalige Religionslehrer, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bremer Universität das Fach Religionspädagogik unterrichtet, streitet seit 20 Jahren für eine qualitative und quantitative Verbesserung seines Fachs. Doch so, wie gestern bei einer von den Grünen organisierten Podiumsdiskussion über das Thema gesprochen wurde – das war ihm neu. „Sie verstehen Religion als eine Frage der Bildung“, sagte er anerkennend zu einer Gruppe von vier Oberstufenschülern und einer -schülerin der Gesamtschule Ost, „das höre ich von Erwachsenen selten.“
Tatsächlich wird in Bremen seit vier Jahren viel über den Religionsunterrichtet geredet. So lange bearbeiten die Bremer Grünen ihren Koalitionspartner, die SPD, den Passus „bekenntnismäßig nicht gebundenen Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“ (kurz BGU genannt) aus der Landesverfassung zu streichen. Erst dann, so die Überlegung, könne der Unterricht dem Anspruch gerecht werden, SchülerInnen wertfrei über alle Religionen zu unterrichten.
Die SPD lehnt dies nach wie vor ab und begründet dies mit verfassungsrechtlichen Bedenken. Doch eigentlich – das wird so aber nicht ausgesprochen – geht es darum, dass einige in der SPD die Bedenken der katholischen und evangelischen Kirche teilen. Denn wenn es nur nach diesen ginge, dann würde der Religionsunterricht eine religiöse Identität vermitteln. Weswegen die Bremer Kirchen auch eine eigene Islamkunde als Ergänzung zum BGU bevorzugen anstatt eines gemeinsamen Unterrichts.
Doch wenn SchülerInnen gefragt werden, ob sie nach Konfessionen getrennt ihre Identität finden oder gemeinsam etwas über die Religionen lernen wollen, dann sagt die Mehrheit stets Letzteres. So war es bei einer Online-Umfrage der Bildungssenatorin, so war es gestern in einem Raum der Bremischen Bürgerschaft. „Ich will etwas neues erfahren, auch etwas über Buddhismus und Hinduismus lernen.“ Sagte Vincent, der sich als Atheist bezeichnete. „Wenn wir getrennt unterrichtet werden, dann hören wir nur das, was wir hören wollen und schon kennen, das ist kein Fortschritt.“ Sagte Daniel, ebenfalls Atheist. Und Bilal, der einzige Muslim in der Runde, fand, dass Religion eine so große Rolle in den Auseinandersetzungen auf der Welt spielt, dass mehr Wissen darüber geradezu überlebenswichtig geworden sei. „Ich verstehe nicht, warum es ein Fach Politik gibt, aber keine Religion.“
Denn das Fach gibt es an vielen Bremer Schulen nur theoretisch, wie auch Statistiken der Bildungssenatorin zeigen. Weil es kein Regelfach ist, wird es oft als erstes gestrichen. So auch an der Gesamtschule Ost, wie die fünf SchülerInnen gestern berichteten. Dabei ist ihnen das Thema so wichtig, dass sie auf dem Schulhof oder in anderen Fächern darüber sprechen. Und oft genug müssen sie sich für ihren Glauben oder Nicht-Glauben verteidigen. „Ich wurde mal ernsthaft gefragt, ob ich den Teufel anbete“, sagte der Atheist Daniel. Und sobald im Fernsehen ein Terroranschlag mit dem Islam in Verbindung gebracht wird, muss sich Bilal am nächsten Tag auf dumme Sprüche über Muslime gefasst machen.
Zumindest die Grünen können sich Religion als Regelfach vorstellen. Doch geeinigt haben sie sich mit der SPD im April erst einmal nur darauf, dass das Curriculum für das Fach überarbeitet wird und ab 2013 danach unterrichtet werden soll. Die nicht-christlichen Religionen sollen darin eine größere Rolle spielen als bisher.
Doch bisher hat die Bildungsbehörde die Arbeit an dem Lehrplan noch nicht aufgenommen. „Das soll bald passieren“, sagte gestern Karla Götz, die Sprecherin der Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD). Die wiederum machte Manfred Spieß gestern als diejenige aus, die sich überhaupt nicht um das Thema kümmern würde. EIB