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Weihnacht mit Waldschrat

Eine Ausstellung in Oldenburg setzt sich mit regionaler Brauchtums- und Stimmungspflege auseinander. Und liefert ganz nebenbei kleine Erkenntnisse über die Geschichte des Schenkens zur Weihnachtszeit

Von Jens Fischer

Kälte liegt wie ein Schleier über der Stadt. Hoch heilig gestresste Menschen toben den Kaufrausch aus sich heraus, um die sozialen Anforderungen des jahresendzeitlichen Gabentauschhandels zu erfüllen. Zum Fest der käuflichen Liebe gilt die bereits im alten Rom bekannte Strategie: Do et des – ich gebe, damit du gibst. Und damit die Ökonomie floriert.

Mit Weihnachtsgeschenken generiert der Handel ein Drittel seines Jahresumsatzes. In den Shoppingpausen setzen die Schenkwilligen dann gern mal eine rote Mütze auf und trinken sich glühweinend in eine schöne Stimmung hinein. Ein dahingedrängeltes Glücksgefühl. Partyfidele „Last Christmas“-Versionen erklingen als Soundtrack. Während würzige Düfte süßer Versprechen mit derben Grillgerüchen konkurrieren und die Putzigkeiten von Kunst- wie Kitschhandwerkern in funzeligem Lichtgeschimmer die Atmosphäre schmücken.

„Alles sieht so festlich aus“, zitiert denn auch das Landesmuseum Oldenburg den Romantiker Joseph von Eichendorff. Gemeint ist aber nicht „hehres Glänzen, heil’ges Schauern“ in „des Schneees Einsamkeit“, sondern der Lamberti-Markt, die illuminierte Fußgängerzone und eine neue Kabinettausstellung im Prinzenpalais. „Wir wollen die Menschen in dieser Zeit dort abholen, wo sie sind“, betont Kurator Marcus Kenzler, „und daher auch im Museum auf Weihnachten einstimmen.“ Passend dazu leitet der Weihnachtsmann höchstpersönlich eine Besichtigung an, zudem sind Rundgänge organisiert, die vom eisigen Marktrubel zur beheizten Kunst führen.

Eine ungewöhnliche Idee. Denn Museen machen sich landauf, landab eher nicht gemein mit dem Konsumzauber und gefühligen Overkill des Dezembers, sondern versuchen mit betont anderen Themen alternative Erfahrungen zu ermöglichen. Kenzler: „Wir wollen mit der Weihnachtsausstellung auch auf sinkende Besucherzahlen in der Adventszeit reagieren.“ Ein Großteil der Ausstellungsstücke wurde noch nie gezeigt. Auf Brauchtumspflege in Oldenburg und Stimmungspflege in Werken regionaler Künstler liegt der Fokus.

Empfangen wird der Besucher mit dem Sinnstifter des Festes: Christus als Gottesgeschenk. Geborgen in einer Krippe arbeitet er schon mal daran, aufgrund des abwesenden leiblichen Vaters eine Menschheitsbeglückungspsychose zu entwickeln. Aus Kirchen ins Museum gelangte Schnitzereien zeigen die Anbetung des Bengels durch drei Könige. Unbeholfen ein Versuch aus dem 18. Jahrhundert, den Jüngsten der Monarchen als Mohren darzustellen. Wahrscheinlich mangels eigner Anschauung hat der Künstler ihn mit Hamsterbacken ausgestattet, sieht irgendwie krank aus. Heute wäre die Darstellung wohl rassistisch zu nennen.

Anders obskur Bernhard Winters Version. In einer Art naiven Realismus versetzt er die Krippen-Szenerie ins Ammerland vor ein reetgedecktes Bauernhaus aus Backstein und Eichenfachwerk. „Eine Heiligsprechung der Heimat und Sakralisierung der Erde“, interpretiert Kenzler. Da das Gemälde aus den 1920er-Jahren stammt, liegt die Frage nahe, ob der Künstler sich der damals erblühenden Heilslehre der Heil-Brüller zugehörig fühlte. „Winter stand dem Nationalsozialismus wohlwollend gegenüber“, bestätigt der Kurator.

Geradezu unschuldig wirken dagegen die grafischen Werke. Erinnerungen – als Weihnachten nicht laut, schrill, hektisch war, sondern wunderstill, friedvoll, ruhig. Noch ein Unterschied zu heute fällt auf: Alle Künstler verewigten meterdick Schnee auf ihren Bildern. Auch Sternschnuppen regnen.

Heinrich Vogler zeigt in einer Radierung aus dem Jahr 1912 eine ärmliche Frau mit Minitanne vor einem einsturzgefährdeten Hexenhäuschen. Gegen die dargestellte Tristesse argumentiert Kenzler mit einer farbstrotzenden, sanft expressionistischen Stadtansicht Otto Freytags: „Winter“ (1954).

Zum Entdecken versteckt in der hinteren Raumecke ist ein Bild Georg Müller vom Siels. Als Landschaftsmaler war er erfolgreich gewesen, das Lebensende aber verbrachte er ab 1909 in der Nervenheilanstalt Wehnen und blühte als Avantgardist auf. Kenzler wählte eine „Koithdarstellung“, Koith meint Wachstum, steht für Koitus. Zu sehen ist ein Weihnachtsbaum in Penisanmutung. „Ein Phallussymbol, ganz klar“, so Kenzler.

Diese Schau ist erst seine dritte. Geplant hatte er, ein prachtvolles Weihnachtszimmer im Stil der vorletzten Jahrhundertwende einzurichten. Stilvoll mit Christbaum. Da sich aber im Dschungel der Zweige naturgemäß tausendfach Klein- und Kleinstgetier tummelt, das Zutrittsverbot zum Museum hat, scheiterte das Projekt. Ein Plastikbaum als Ersatz fand Kenzler unangemessen und ein Weihnachtsbaumkunstwerk auszuleihen, dafür fehlte das Geld.

Denn die Ausstellung entstand ohne Etat – und fast nebenbei. Kenzler ist hauptberuflich einer von bundesweit nur 50 fest angestellten Provenienzforschern. Sie sollen Herkunft und wechselnde Besitzverhältnisse von Kunstwerken rekonstruieren, um Raubkunst zu entdecken. Von den 130.00 Objekten in den Landesmuseum-Archiven, von denen 9.000 während der NS-Zeit erworben wurden, habe er seit 2011 etwa 750 gesichtet, so der Wissenschaftler.

Zum Beispiel die vier Grafiken der Weihnachtsausstellung. „Da wir wenig darüber wissen, wem sie wann gehörten, erhoffen wir uns Hinweise von Besuchern.“ Das gilt auch für den ostfriesischen Kinderschlitten in Schwanenform, gebaut um 1850, Ende der 1930er-Jahre dem Museum geschenkt. Drumherum sind ein paar Schmankerl zum Fest arrangiert: Auf rotem Tuch ruht silberner Christbaumschmuck in grauen Kartons, auch hölzerne Backformen für Lebkuchen sind zu sehen.

Geschmacklich eindeutig die Weihnachtseinkaufliste der Großherzogin von 1895: Ganz oben steht Marzipan, gefolgt von Marzipan und Marzipan. Auf einem Gabentisch drapiert sind eine Lederpuppe mit Porzellankopf, ein handgewebter Kuschelhund und Holzpferde auf Rädern. Alles unverpackt – denn Spielsachen als Geschenk kenntlich zu machen durch papierne Verhüllung, wird in Deutschland erst seit den 1950er-Jahren praktiziert.

Das sind so kleine Erkenntnisse, die die Ausstellung transportiert. Reizvoll auch einige Beispiele aus dem Fotoarchiv. Etwa von einer Weihnachtsfeier deutscher Frontsoldaten 1915. Mit Original-Weihnachtsmann. Bevor er als rot-weiß gewandeter Santa Claus aus der US-Werbung nach Deutschland importiert wurde, kam er mit zauseligem Bart, Wichtelmütze und Waldschrattextilien zur Bescherung – sieht so gar nicht festlich, eher furchteinflößend aus.

„Alles sieht so festlich aus! Weihnachten in Oldenburg damals und heute“: bis 6. Januar 2019, Oldenburg, Prinzenpalais

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