DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Dead Man Walking

WAS SAGT UNS DAS? Helmut Kohl äußert sich kaum öffentlich. Ein Götze, im eigenen Fleisch erstarrt

Es gibt dieses irritierende Moment, einen zu sehen, der nicht wirklich lebt

Der andere Helmut redet und redet. Helmut Schmidt, ehemaliger Kanzler, SPD, sagt zu allem etwas: Europa, Krieg, Trombose-Spritzen. Agil, amüsant, meinungsstark.

Und der wahre Helmut? Helmut Kohl, längster Kanzler, Vater Europas, der Einheit etc. pp., weitere Titel bitte anhängen – der mindestens ebenso viel zu sagen haben müsste wie Schmidt? Manchmal werden Satzfetzen kolportiert, die von ihm stammen sollen. Etwa jener, die CDU solle Europa nicht kaputt machen. Manches davon wird gleich wieder dementiert, vieles ist beliebig, vage. Letztendlich ist das Schweigen.

Gezeichnet von Krankheit und Verfall, wird dieser Mann im Rollstuhl durch Veranstaltungen wie denen jetzt zum 30. Jubiläum seines Amtsantritts als Kanzler geschoben – eigentlich einem Geist gleich, wäre seine körperliche Macht nicht das Gegenteil alles Ätherischen. Aber es gibt dieses irritierende Moment, einen zu sehen, der nicht wirklich lebt. Einen Untoten, kein Zombie allerdings, es fehlt das Aggressive, der Wille zur Vernichtung. Eher ein Götze, im eigenen Fleisch erstarrt.

Einem solchen Idol ist es natürlich angemessen, nicht zu reden – nicht in profanen Worten jedenfalls. Was Kohl mitteilen will, fasst er in bibelschwere Wälzer, seine „Erinnerungen.“

Und denen in der CDU kommt das zupass. Anders als Helmut Schmidt ärgert Kohl seine Partei nicht inhaltlich, es gibt persönliche Differenzen, ja. Aber eben darum ist es bei den Konservativen immer gegangen, während sich die Linke an Inhalten abarbeitete und spaltete: es ging um Personen, um den Mächtigen, auf den die getreue Schar ihre Wünsche projizieren kann. Bis heute.

DAS