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Archiv-Artikel

Bacchus auf Abstinenz

VERZICHT Die Politik predigt Wasser statt Wein – so wird der versierte Weinkenner zum Säufer

Ein weinkulturelles Verständnis kennt die Gefahren des Missbrauchs des Weins als Rauschmittel

VON TILL EHRLICH

Jede Branche hält sich ihre Multiplikatoren, die ständig feuern, um die Konsumenten bei Laune zu halten. Auch die Weinwirtschaft hat Propagandisten, und die waren in den letzten Jahren besonders fleißig: Wein wurde zum populären Lifestyleprodukt erklärt und mit ungetrübtem Optimismus angepriesen. Noch nie hätte es so viel gute und preiswerte Weine gegeben. In Wahrheit sind immer mehr Weine – auch hochpreisige – uniforme, designte Konsumgetränke geworden. Zugleich wird der Wein immer noch als etwas Besonderes vermarktet, so, als würde er noch überall von fröhlichen Frauen mit bunten Kittelschürzen gepflückt, vom Winzer mit der Hand gekeltert und in glucksenden Eichenfässern bei Kerzenlicht in alten Gewölbekellern gereift.

Die Realität sieht meistens anders aus: Die Branche ist stillschweigend umgekrempelt worden, nicht zuletzt mit Technologie aus der Getränkeindustrie und auch beträchtlichen Investitionen aus dem Spirituosen- und Biersektor, der in die Weinwirtschaft drängt. Diese Kräfte haben letztlich auch die neuerliche Liberalisierung der EU-Weingesetzgebung durchgesetzt.

Im Schatten der Weinpopularität erstarken auch moralische Ressentiments, die allmählich den politischen Diskurs erreichen. So erzürnte die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD) die Weinbranche, weil sie Wein mit anderen alkoholischen Getränken gleichsetzte und auch eine Weinsteuer gefordert hat. Ausgerechnet zu Weihnachten, dem saisonalen Höhepunkt des Weingeschäfts, empfahl Bätzing das Fest doch mal ohne Wein zu feiern. Ein Sakrileg aus Sicht der Vermarkter und Hersteller, schließlich ist Wein ein Kulturgut. Doch was ist eigentlich die Kultur an Billigweinen unter drei Euro, die den Großteil des Markt fluten?

Bekanntlich ist der postmoderne Kulturbegriff wie ein Schwamm, der alles unterschiedslos in sich aufnimmt. So versteht man in der östlichen Steiermark unter Kulturgut einen roséfarbenen Wein, Schilcher genannt, der aus den Trauben der Sorte Blauer Wildbacher gekeltert wird. Die Schilcher-Weinstraße und die Stainzer Schilchertage sind dem Wein gewidmet, aber der Trunk hat auch noch eine andere Seite. Bis in die Siebzigerjahre war es ein tückisches Getränk, das Methylalkohol enthielt und als der direkteste Weg zum Rausch geliebt wurde. Er hieß auch „Faustschilcher“, „Rabiat“ und „Heckenklescher“. Manche nannten ihn einfach nur Messerstecher- und Kindermacher-Wein. In den Achtzigern wurde dann der Schilcher durch Züchtungen veredelt und zum „traditionellen steirischen Kulturgut“ erhoben, weil er nun als „sicher“ galt, da man ihm den Methylalkohol ausgetrieben hatte.

Jenseits solcher Kuriositäten reagiert die Politik offensichtlich auf den moralischen Druck, der im Gewand religiöser Werte einen Paradigmenwechsel anstrebt: die Genussfeindlichkeit. Dabei positioniert die moralische Sicht den Weintrinker als potenziellen Säufer und reduziert den Wein auf seinen Alkoholgehalt. Weinkonsum wird dem narkotischen Trinken als Betäubung oder Stimulans zugeordnet und dem instrumentellen Trinken als Bedürfnisbefriedigung. Gefordert werden Verzicht, Enthaltsamkeit, Einschränkung und Zügelung.

Doch ein weinkulturelles Verständnis kennt die Gefahren des Missbrauchs und des Verfallenseins im Gebrauch des Weins als Rauschmittel und Droge. Dies ist ein Phänomen, das man vom Genuss jeglicher Stoffe kennt, die zusagen. So ist auch das soziale Trinken bekannt, das der Anbahnung, Unterhaltung und Entkrampfung sozialer Kontakte und Bindungen dienen kann. Man hat damit ebenso zu leben gelernt wie mit dem Überangebot an Süßigkeiten. Die Frage nach der Weinkultur kann daher nicht nur vom Geruchs- und Geschmacksphänomen her betrachtet werden, sondern ist auch eine ethische Frage: Die Begegnung mit dem Wein ist die Begegnung mit einer Welt.

Moralischer Druck, der im Gewand religiöser Werte einen Paradigmenwechsel anstrebt: Genussfeindlichkeit

Man benötigt Zeit, Geduld und Nachdenklichkeit, Wissen und ein geschultes Geschmacksempfinden, um Freude am Genuss anspruchsvoller Weine zu haben. Anspruchsvoll bedeutet nicht automatisch elitär und teuer, sondern dass der Wein nicht immer so schmeckt, wie man es erwartet oder gern hätte. Eine gewisse Unberechenbarkeit gehört nämlich einfach dazu, nicht zuletzt, weil sich der Wein in der Flasche noch strukturell und geschmacklich verändert und heute anders schmecken kann als gestern. Auch die Produktionsseite stellt einen geschichtlichen Prozess dar, in dessen Verlauf der Winzer herausfinden kann, wie sich eine bestimmte Rebsorte bei der Kelterung, Gärung oder Reifung entwickelt.

Der Wein hat seine kulturprägende Symbolik und Wertschätzung dadurch erlangt, dass er bis in jüngste Zeit ein agrikulturelles Produkt war. Dies bedeutet bei der Weinherstellung nicht das „Du sollst“, sondern ein „Sei achtsam“; also die Annahme der Begegnung mit der Erde und den Tücken des Wetters. Der Begriff „Natur“ wird dabei ortsgebunden verstanden, da sich ein Weinbauproduzent mit den Bedingungen eines Ortes auseinandersetzen muss. Daraus ergibt sich dann die Frage, wie sich eine Rebpflanze unter bestimmten Verhältnissen verhält. Agrikultur erscheint hierbei im Sinne von Sorgen und Gönnen und im Hinblick darauf, dass aus einer Sache etwas wird. Hierbei entsteht ein ethisches Moment, das sich in der Sorge um nachkommende Generationen ausdrückt. Es geht freilich nicht um die Ausbeutung der Dinge – das ist Agrikultur ohne Kultur. Weinbaukultur ist ein Multigenerationenprojekt, das darauf abzielt, die Bedingungen herauszufinden, bei denen eine bestimmte Traubensorte an einem Ort qualitative Höchstleistungen liefert.

Doch die Zukunft sieht wohl anders aus: Alkoholreduzierte Lower-Alcohol-Weine könnten der nächste Trend werden. Hierbei wird dem Wein nach der Gärung sein Alkohol mittels Umkehr-Osmose entzogen. Er fließt durch eine Maschine, die ihn zerlegt und in seine molekulare Struktur eingreift, dabei werden Alkohol-Moleküle von den übrigen Bestandteilen getrennt. Das Marktpotenzial für Lower-Alcohol-Weine wird von den Konzernen als beachtlich eingeschätzt – und die Multiplikatoren fangen schon an zu feuern.