: Koch puscht Wahlkampfthema Türkei
Hessens Ministerpräsident Roland Koch schürt bei einer Kundgebung im Rheintal Vorbehalte gegen den EU-Beitritt der Türkei. Damit düpiert er Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Denn die wollte das Thema eigentlich aus dem Wahlkampf heraushalten
VOM MITTELRHEINTAL KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Roland Koch ist auf Wahlkampftour im Mittelrheintal. Der Landesvorsitzende der hessischen CDU und amtierende Ministerpräsident ist nicht allein unterwegs. An seiner Seite reist der Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen Union, Christoph Böhr. Dort wird im nächsten Frühjahr schließlich auch ein neuer Landtag gewählt. Einen jetzigen und einen zukünftigen Ministerpräsidenten könne man heute in St. Goarshausen bestaunen, preist der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises, Michael Fuchs, das Duo an.
Tatsächlich zu sehen bekommen die rund 200 Sympathisanten aber ein Kontrastprogramm: einen eloquenten Hessen – und einen steifen Pfälzer, der seinem Ruf, auf der anderen Rheinseite die „Schlaftablette“ der Landespolitik zu sein, durchaus gerecht wird. Böhr spricht nach Koch das Rheinufer schnell wieder menschenleer.
Am Anleger für Fähr- und Ausflugschiffe stinkt es nach Diesel und altem Fett, als die beiden Wahlkämpfer Seit an Seit an der Loreley eintreffen. Die Loreley-Rentnerband intoniert einen Marsch mit dem Titel: „Der Urlaubsschein“ – eigentlich ein Affront gegen Koch. Intern war dem Politiker nämlich vorgeworfen worden, einen „Sommerwahlkampf in der Badehose“ zu inszenieren, sich also nicht voll für Angela Merkel zu engagieren.
Und tatsächlich hatte Koch die Kanzlerkandidatin bei ihrem ersten Auftritt in Hessen vor einigen Tagen in Kassel alleine stehen lassen. „Ich kann ja nicht überall gleichzeitig sein“, sagte Koch. Er sei an diesem Tag „im Osten unterwegs gewesen“. Und dort gebe es für die Union ja schließlich auch „eine ganze Menge zu tun“.
Jetzt also ist Koch in Rheinland-Pfalz. In St. Goarshausen ignoriert er schon gleich einmal die Bitte der Kanzlerkandidatin, den umstrittenen, von SPD, Grünen und auch der FDP avisierten Beitritt der Türkei zur Europäischen Union aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten. Das Thema beschäftige schließlich die Menschen, argumentiert Koch. Und Merkel favorisiere doch selbst die „privilegierte Partnerschaft“, lässt er Kritiker später wissen. Weder in Frankreich noch in den Niederlanden noch in Dänemark und auch nicht in Deutschland gebe es auf absehbare Zeit eine Mehrheit für einen Beitritt der Türkei. Nicht nur ökonomische Gründe würden dagegen sprechen. Es gebe auch religiöse und kulturelle Divergenzen: „Europa hat seine Grenzen!“
Mehr Beifall als an dieser Stelle gab es an diesem Nachmittag für Koch nicht mehr, noch nicht einmal für seine Verbalausfälle gegen den amtierenden Bundesaußenminister „aus der Steinewerfertruppe“. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Holger Börner habe Joschka Fischer schon 1985 zum Umweltminister des Landes gekürt, obgleich er zuvor behauptet habe, niemals mit den Grünen zusammenarbeiten, sondern die „Bande“ eher mit der Dachlatte vom Landtagshof jagen zu wollen. Deshalb könne man auch heute den „Sprüchen führender Sozialdemokraten“, auf gar keinen Fall eine Liaison mit der neuen Linkspartei, die nur die alte PDS sei, eingehen zu wollen, keinen Glauben schenken, sagt Koch.
Nur die Koalition mit der FDP garantiere einen „Neuanfang für Deutschland“. Alle anderen denkbaren Konstellationen – auch die große Koalition – seien dagegen „eine Katastrophe“, sagt er in kleiner Runde. Vor Publikum hatte sich Koch noch eher beiläufig zu einer Mehrwertsteuererhöhung „nur zur Senkung der Lohnnebenkosten“ bekannt und davon gesprochen, dass Deutschland ökonomisch endlich wieder „Weltspitze“ werden müsse. Das sei ganz sicher „keine einfache Aufgabe“. Weitere „Einschnitte“ seien unvermeidlich. Aber Wahlversprechen, die hinterher nicht eingehalten würden, würden Deutschland „keinen Meter voranbringen“.
Nach echter Aufbruchstimmung klang das alles nicht. Ihm hätten in St. Goarshausen und dann auch in Rüdesheim die politischen Gegner gefehlt, sagte Koch am Abend. Deren Zwischenrufe erst hätten ihn zu rhetorischen Höchstleistungen angespornt. Koch grinst dabei breit. Also doch ein Badehosenwahlkampf? Bald könnte das ganz real sein. Denn draußen stieg der Rhein stündlich bedrohlich an.
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