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Archiv-Artikel

reaktionen im wortlaut

Der Kanzler

Gerhard Schröder (SPD):

„Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner heutigen Entscheidung den Weg für Neuwahlen endgültig frei gemacht. Es hat damit meine Auffassung und die des Herrn Bundespräsidenten uneingeschränkt bestätigt.

Die heutige Entscheidung ist eine wichtige Weiterentwicklung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983. Damit ist klar: Am 18. September werden die Wählerinnen und Wähler einen neuen Bundestag wählen. Dies war von Anfang an mein Ziel. Es geht mir um die Bestätigung meiner Reformpolitik, einer Politik, die Deutschland zu neuer Stärke führt, ohne den sozialen Zusammenhalt in Frage zu stellen. Unser Land braucht diese Erneuerung nach innen, und es braucht die selbstbewusste Positionierung nach außen, die Positionierung als eine mittlere Macht, die dafür eintritt, die Konflikte in dieser Welt friedlich zu lösen. Dafür brauche ich ein erneuertes Mandat, und genau dafür werde ich an der Spitze meiner Partei mit aller Entschiedenheit kämpfen.“

Der Kläger

Werner Schulz (Grüne):

„Das Gericht hat eine Neuinterpretation des Grundgesetzes vorgenommen und das Parlament geschwächt. Das subjektive Empfinden eines Kanzlers, er habe keine Mehrheit mehr, muss einer objektiven Prüfung nicht mehr standhalten. Damit kann ein Kanzler praktisch das Parlament auflösen, während das Parlament selbst über kein eigenes Auflösungsrecht verfügt. Politisch wird es jetzt darum gehen, die Rechte des Parlaments wieder zu stärken. Dazu gehört die Initiative für ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages.“

Der Bundespräsident

Horst Köhler:

„Mit dem heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht fest: Am 18. September finden in Deutschland Bundestagswahlen statt, und die Bürgerinnen und Bürger entscheiden über den weiteren Weg unseres Landes. Die Parteien sind aufgerufen, im Wahlkampf ihre politischen Konzepte zur Lösung der anstehenden Probleme umfassend und ehrlich darzulegen. Unsere Demokratie lebt davon, dass die Bürger ihr Recht in Anspruch nehmen und sich an den Entscheidungen im Staat beteiligen. Alle Bürgerinnen und Bürger rufe ich auf, sich über die politischen Alternativen zu informieren und ihr Wahlrecht zu nutzen. Jeder wahlberechtigte Deutsche hat die Chance, über den Kurs und die Zukunft unserer Gesellschaft zu bestimmen. Das ist ein großes Recht, und jedermann sollte damit sorgsam umgehen.“

Der Bundestagspräsident

Wolfgang Thierse (SPD):

„Ich bin nicht überrascht. Ich war stets überzeugt, dass die große Mehrheit des Deutschen Bundestages und ebenso der Kanzler mit seiner Vertrauensfrage verfassungsgemäß gehandelt und entschieden haben.

Ich bleibe im Lichte dieser Entscheidung aber bei meinem Vorschlag, ein Selbstauflösungsrecht mit einem sehr hohen Quorum ins Grundgesetz aufzunehmen. Mit Rücksicht darauf, dass der Weg über die Vertrauensfrage eine nicht so leicht durchschaubare Art ist, zu Neuwahlen zu kommen, dass aber die absolute Mehrheit zur Ablehnung einer Vertrauensfrage keine sehr hohe Hürde ist, plädiere ich dafür, in der nächsten Legislaturperiode in Ruhe über eine Verfassungsänderung zu debattieren.“