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Archiv-Artikel

Feinfühlige Handgriffe

MANUELLE THERAPIE Schwierige Schwangerschaften und Geburtskomplikationen führen bei Babys oft zu Blockaden oder Verspannungen. Viele Eltern wissen aber nicht, warum der Nachwuchs andauernd schreit. Dabei können Osteopathen meist relativ schnell helfen

Kinderosteopathie

■ Osteopathie ist eine ganzheitliche manuelle Therapieform, um den behandelten Menschen in sein natürliches Gleichgewicht zurückzuführen. Dafür sind genaue Kenntnisse von physiologischen und anatomischen Zusammenhängen nötig.

■ Es ist in jedem Fall ratsam, gut ausgebildete und erfahrene Osteopathen aufzusuchen. Unter anderem vermitteln Kinderärzte, Hebammen und Geburtshäuser Osteopathen die auf Kinder und Babys spezialisiert sind. Eine Therapeutenliste finden Eltern auch über den Verband der Osteopathen Deutschland e. V. im Internet unter www.osteopathie.de – Therapeuten, die hier ein stilisiertes Zeichen „Baby“ aufweisen, sind ausgebildete und erfahrene Kinderosteopathen.

■ Die Kosten für eine Sitzung liegen zwischen 60 und 100 Euro. Private Krankenkassen übernehmen teilweise die Kosten, gesetzliche nur, wenn eine Zusatzversicherung für Heilpraktiker abgeschlossen wurde. Wer gar nicht mehr ein noch aus weiß, kann sich auch an eine Schreiambulanz wenden: www.schreibabyambulanz.info oder www.schreibaby.de. (vm)

VON VERENA MÖRATH

Getrübtes Elternglück: Nicht wenige Neugeborene schreien andauernd, lassen sich nicht beruhigen und nicht ablegen. Andere bleiben hungrig, weil das Stillen nicht klappt. Oft probieren die verzweifelten Eltern im „Trial and Error“-Verfahren allerhand aus, damit ihr Baby zufriedener wird.

Was viele nicht ahnen: Ursache für unglückliche Babys könnten Verspannungen, Blockaden und Dysfunktionen sein, die während der Geburt oder teils schon in der Schwangerschaft entstanden sind. Die gute Nachricht: Erfahrene Osteopathen oder Manualtherapeuten können völlig schmerzfrei und meist relativ schnell vielen Babys helfen.

Lukas zum Beispiel hatte es nicht leicht: Die Geburt verlief dramatisch, schließlich musste er mit Hilfe einer Saugglocke auf die Welt geholt werden. Wegen einer lebensbedrohlichen Neugeborenengelbsucht verbrachte er einige Tage auf der Intensivstation. Sein Start war also mehr als aufregend. Dann endlich kam er nach Hause, und alle waren froh: Die Eltern Sabine und Paul Kremer wie auch der vier Jahre alte Bruder Finn (Namen von der Red. geändert). Aber Lukas konnte sich nicht entspannen. „Am schlimmsten waren unsere Nächte“, erinnert sich Sabine Kremer, „ich saß im Bett mit angewinkelten Beinen und legte Lukas fast aufrecht darauf. Die einzige Haltung, in der er einschlief. Aber sobald ich meine Beine ausgestreckt habe, fing er wieder an zu weinen.“ So vergingen vier lange Wochen, eine gefühlte Ewigkeit. Eine befreundete Hebamme untersuchte Lukas bei einem Besuch und sah, dass Lukas sich im Liegen arg nach hinten überstreckte. Sie riet der Familie, eine Osteopathin aufzusuchen.

Die Kremers machten sich auf den Weg von Neukölln nach Prenzlauer Berg in die Praxis von Ivana Martínková, Osteopathin und Homöopathin. „Zuerst war ich sehr kritisch“, erzählt Sabine Kremer. „Aber die Behandlung hat ihm richtig gutgetan – und auch uns. Ich kann es allen Eltern für jede Form innerer Verspannungen empfehlen.“ Zwar sei der heute dreijährige Lukas immer noch sehr quirlig und brauche wenig Schlaf, aber ansonsten gebe es keinerlei Auffälligkeiten mehr.

Ivana Martínková hat schon im letzten Jahr ihrer fünfjährigen Ausbildung zur Osteopathin eine zusätzliche Fortbildung für Kinderosteopathie absolviert. Seit acht Jahren behandelt sie in ihrer Praxis Babys und Kinder. Bei einem ersten ausführlichen Anamnesegespräch berichten ihr die Eltern über die Schwangerschaft, die Geburt und die Probleme ihres Kindes. Denn die Erfahrung zeigt, dass schwierige Schwangerschaften wie auch Geburtskomplikationen häufig zu Blockaden oder Verspannungen des Bewegungsapparats führen. Ist beispielsweise die Halswirbelsäule gestaucht, kann das Darmgewebe verkrampft sein, weil die Nerven, die es unterstützen, nicht frei sind. Das Baby kann deshalb Verdauungsprobleme bekommen. „Oder aber sie verdrehen oder neigen ihr Köpfchen nur zu einer Seite, haben einen asymmetrischen Kopf oder punktuelle Haarabriebsstellen. Und viele weinen schon, wenn man sie hinlegt oder umdreht“, erklärt Ivana.

Nach der Anamnese untersucht die Osteopathin Becken, Wirbelsäule und Halswirbel wie auch den Schädel der kleinen Patienten und sucht gezielt nach Stauchungen. „Man kann sich einen Fluss vorstellen, dessen Lauf durch Stöcke oder Blätter gestört wird, und der sich staut. Ich versuche nach und nach diese Äste und Blätter zu beseitigen“, sagt Ivana. Ziel der Behandlung sei es, die Verspannungen im Gewebe sanft zu lösen und die Symmetrie im Körper wiederherzustellen. Lukas behandelte sie sieben Mal. „Eine Besserung kann aber schon nach einer ersten Sitzung erfolgen“, so Ivana. Durchschnittlich kämen ihre kleinen Patienten jedoch an die sechs Mal, meistens in einem monatlichen Rhythmus.

Ziel der Behandlung ist es, die Verspannungen im Gewebe sanft zu lösen

Ein erfahrener Osteopath ist auch Thomas Hirth, der seit 20 Jahren praktiziert. „Ich unterstütze den Organismus dabei, ins innere Gleichgewicht zu kommen. Hierfür nutze ich die körpereigenen Dynamiken, stimuliere und unterstütze den Körper, damit das Gewebe wieder ideal versorgt und entsorgt wird. Es ist eine Hilfe zur Selbsthilfe.“ Nicht immer sei ein Erfolg garantiert, räumt Hirth ein. „Man muss auf dem Teppich bleiben. Osteopathie ist keine Wundertherapie.“ Er rät aber bei ausgeprägten Symptomen, auf jeden Fall zu einer Behandlung, damit „Funktionsstörungen nicht mitgeschleppt“ werden. Ein Kind wächst sonst womöglich „mit angezogener Handbremse auf, weil motorische und neurologische Defizite nicht ausgeglichen werden können“.

Längst ist es auch für Kinderärzte selbstverständlich, bei ihren Vorsorgeuntersuchungen nicht nur Organschäden auszuschließen, sondern ebenso darauf achten, „ob ein Baby eine Seite bevorzugt, sich das Köpfchen ohne Probleme auf beide Seiten drehen lässt oder ob der Schädel asymmetrisch ist“, sagt Kinderärztin Sabine Pohlentz. Manche Eltern würden aber gar nicht bemerken, dass ihr Kind eine Lieblingsseite hat oder asymmetrisch ist. „Denn sie schreien kaum und wirken ganz zufrieden“, erzählt sie. Auffallend sei, dass Blockaden und Verspannungen bei Säuglingen spürbar zugenommen hätten. „Das berichten viele Fachkollegen, aber eine Ursachenforschung hierfür steht noch aus.“

Aber keine Panik: Experten vermuten, dass vielen Säuglingen eine Spontan- oder Selbstheilung gelingt und sie nicht immer behandelt werden müssen. Das Beste ist, sich bei Kinderärzten Rat zu holen, wenn sich das Baby auffällig verhält. Manchmal reicht schon eine Unterweisung der Hebamme oder des Pädiaters, sein Kind durch veränderte Trage- oder Stilltechniken zu unterstützen. Bei anderen helfen feinfühlige und geschulte osteopathische und manuelle Handgriffe.