: Proviant aus der Luft
AUS WIEN RALF LEONHARD
Zuerst die gute Nachricht: Der Pegel der Donau wird nicht mehr nennenswert ansteigen. In den von den Überflutungen im August 2003 besonders betroffenen Bundesländern Ober- und Niederösterreich kann die Bevölkerung aufatmen. Freuen kann man sich auch in Tirol, Vorarlberg und der Steiermark, denn der Dauerregen hat aufgehört und die in den nächsten Tagen erwarteten Niederschläge werden sich in Grenzen halten.
Jedoch: Die in den letzten Tagen verursachten Schäden sind enorm. Die von Hochwasser und Erdrutschen zerstörten Bahnstrecken in Tirol und Vorarlberg werden noch tagelang gesperrt bleiben.
In der Steiermark starben zwei Frauen in einem von einer Schlammlawine zerquetschten Haus, in Tirol und Vorarlberg wurde je ein Mann Opfer von Geröllmassen. Das Tiroler Paznauntal muss nach wie vor über eine Luftbrücke versorgt werden, 6.000 Touristen sitzen dort fest. Aus Lech am Arlberg konnten eingeschlossene Feriengäste im Konvoi über die vorübergehend geöffnete Straße den noblen Urlaubsort verlassen. Doch andere Orte am Arlberg und im Montafon bleiben von der Außenwelt abgeschnitten. Die Versorgung liegt großteils in der Hand von Bundesheer und Rotem Kreuz, die mit Hubschraubern Proviant ein- und Menschen ausfliegen.
Allein in Vorarlberg rechnet Landeshauptmann Herbert Sausgruber mit Schäden von „weit über 100 Millionen Euro“. Ähnliches gilt für die Steiermark. Bevor eine abschließende Schadensbilanz möglich ist, will die Bundesregierung schon mal 30 Millionen Euro, die im Katastrophenfonds liegen, freigeben. Der Fonds soll zudem um eine noch nicht genannte Summe aufgestockt werden. Allerdings sind nicht alle Opfer gleich, wie gestern Franz Prettenthaler vom Joanneum Research Institut in Graz kritisierte: Während im Lande Salzburg aus staatlichen Geldern 53 Prozent der Schäden ersetzt werden, bekommen Geschädigte in der Steiermark mangels bundeseinheitlicher Regelungen nur 30 Prozent, und in Kärnten muss man sich gar mit mageren 23 Prozent bescheiden.
Dazu kommt eine weitere Ungerechtigkeit: Wer Geld von der Versicherung bekommt, dem wird dieser Betrag überall außer in Wien von der Entschädigungssumme des Katastrophenfonds abgezogen.
Die Bundesheersoldaten und Feuerwehrleute, die bei den Aufräumungsarbeiten rund um die Uhr im Einsatz stehen, werden von zahllosen Freiwilligen verstärkt. ÖGB-Vorsitzender Fritz Verzetnitsch forderte ein Gesetz, das Arbeitgeber verpflichten soll, ihre Leute in Katastrophenfällen freizustellen. Wer selbstlos hilft, soll nicht auch noch seinen Urlaub opfern müssen. Bundeskanzler Schüssel (ÖVP) ließ nach einer Sondersitzung wissen, dass auch Langzeitarbeitslose für diese Arbeiten angeworben werden sollen. Das habe sich schon nach dem Hochwasser vor drei Jahren bewährt.
In der arg verwüsteten Ortschaft Pflach in Tirol hat man auch schon die Schuldigen für die Verwüstungen ausgemacht: die Grünen, die sich der Vertiefung des Lech-Flussbettes aus Rücksicht auf Frösche und Krebse widersetzt hätten. Die lokalen Ökos bestreiten das. Tatsächlich setzen sich die Grünen landesweit für die Renaturierung von Flüssen ein. Denn erst durch Regulierungen werden die Gewässer wirklich gefährlich. „Österreichs Bäche und Flüsse erfüllen alle Hochgeschwindigkeitskriterien. Wenn Wasser reinkommt, wird es in den fein betonierten Kanälen auf Höchstgeschwindigkeit gebracht. An der ersten Schwachstelle brechen die Hochwasser dann über Straßen und Dörfer herein“, meint der Grünen-Abgeordnete Peter Pilz. Auch der WWF setzt sich seit langem für die beschleunigte Umsetzung der EU-Richtlinie ein, die bis 2015 die Renaturierung der Flussläufe vorschreibt. Aus den Verwüstungen des „Jahrhunderthochwassers“ 2003 habe man nichts gelernt.