Vom Planeten der Affen

THEATER Aus der Warte des Fans: Angela Richters Stück „Assassinate Assange“ auf Kampnagel Hamburg

Mit fester Stimme teilt die Schauspielerin den Zuschauern mit: „Uns geht es hier um Verhältnismäßigkeit“

VON KLAUS IRLER

Zwei Frauen stehen auf der Bühne, in zotteligem Affenfell, und berichten vom Sex mit Julian Assange. Die eine, stark und cool, spielt die Pressesprecherin der schwedischen Christlichen Sozialdemokraten. Die andere, schwärmerisch und nervös, spielt jenen weiblichen Assange-Fan, zum Groupie geworden während eines Assange-Vortrags in Stockholm.

Beide Frauen gehen ins Detail: Die Zuschauer erfahren, wie und wo sie Assange das erste Mal berührte und was folgte, bis sie im Bett landeten. Dort wollten beide, dass Assange ein Kondom überzieht, was er von selbst nicht getan hätte. Im Weiteren erfahren die Zuschauer, wie und wie oft die Frauen prüften, ob das Kondom auch richtig sitzt. Und wie und warum sie später zweifeln mussten, dass das mit dem Kondom richtig funktioniert hat.

Am Ende dieser Geschichte fällt eine der beiden Frauen aus ihrer Rolle. Von einem Moment auf den anderen ist sie nicht mehr ein Assange-Groupie, sondern eine Schauspielerin, ja Aktivistin des Angela-Richter-Ensembles. Mit fester Stimme teilt sie den Zuschauern mit: „Uns geht es hier um Verhältnismäßigkeit.“ Gemeint ist die Verhältnismäßigkeit zwischen Assanges Fehlverhalten in diesen Nächten und der nach wie vor laufenden Fahndung nach ihm durch Interpol wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung.

Die Szene ist eine Schlüsselszene von Angela Richters Inszenierung „Assassinate Assange“ auf Kampnagel Hamburg. Inhaltlich verhandelt sie die Frage, was wirklich geschah im August 2010 in Schweden. Ob Assange wirklich eine Vergewaltigung angelastet werden kann, ist juristisch nach wie vor nicht geklärt. Das zu wissen, ist Richter wichtig: Ihr geht es um Assanges Glaubwürdigkeit als moralische Instanz.

Zu Protokoll gegeben

Formal zeigt die Szene, welchen Zugriff Regisseurin Angela Richter auf das Thema gewählt hat. Richter präsentiert ihre Rechercheergebnisse zum Fall Assange und kommentiert sie zugleich. Dazu hat sie eine 80-minütige Abfolge von Szenen entwickelt, die wie ein Mosaik ein Bild ergeben sollen. Sichtbar werden soll Julian Assange als politische Figur und Star der Linken.

Für ihre Recherche hat Richter Assange achtmal getroffen, vor allem in Assanges gegenwärtigem Exil in der ecuadorianischen Botschaft in London. Die Gesprächsprotokolle fließen in die Inszenierung ein, ebenso wie Polizeiprotokolle zum Vorfall in Stockholm, Wikileaks-Gedanken des Philosophen Slavoj Žižek, eine Rede von Martin Luther King, umgetextete Songs von den Doors. Und jeder Text kommt aus einer Figur im Affenkostüm, ein Verfremdungseffekt, der ein deutliches Signal für die Distanz zum Dargebotenen geben soll. Das Setting ist ein leerer, schwarzer Raum – es ist dunkel auf diesem Planet der Affen. Auf einer Leinwand laufen Video-Sequenzen, die sich mit live gesprochenen Texten abwechseln. Gezeigt wird beispielsweise das Verhör bei der schwedischen Polizei als grotesk ruckeliges Kammerspiel von Menschen im Affenkostüm.

Spenden an Wikileaks

Ihre Haltung zu Assange macht Angela Richter schon deutlich, bevor auf der Bühne das erste Wort gesprochen wird. Im Foyer gibt es einen Merchandising-Stand, an dem T-Shirts mit Assange-Konterfei und dem Satz „Stop Bigotry – let Assange walk free“ verkauft werden. Designt hat die Richters Mann, der Star-Künstler Daniel Richter. T-Shirts seiner Originalsignatur gibt es ab 200 Euro. „Die Einnahmen werden an Wikileaks gespendet.“

Angela Richter ist ein Assange-Fan, keine Frage. Das führt dazu, dass der Vergewaltigungsvorwurf in ihrem Stück viel Platz einnimmt. Richter beißt sich fest, schafft es aber trotzdem, die ständig behauptete Distanz einzulösen. Ihre Assange-Figur ist keine reine Lichtgestalt, sondern auch ein Schürzenjäger, der sich wie ein Arschloch verhalten hat, wenngleich er niemand vergewaltigt hat. So weit, so gut. Und jetzt?

■ Wieder am 30. 9., 19.30 Uhr, Kampnagel, Hamburg; 19.–22. 10. Brut-Theater, Wien