: „Ich verstehe mich sehr gut“
Knapp anderthalb Jahre nach seinem Debüt legt Liedermacher Jens Friebe mit „In Hypnose“ sein zweites Album vor. Das vielleicht einzige richtige Popsternchen Deutschlands über sich als Phänomen und die künstlerische Verwertbarkeit von Fleisch
INTERVIEW HANNAH PILARCZYK
taz: Jens Friebe, im Frühling 2004 ohne viel Aufsehen das Debütalbum herausgebracht, im Laufe des Sommers zum Kritikerliebling gemausert, im Winter dann Gewinner der Leserpolls von Spex und Intro, und jetzt, kurz vor Erscheinen des neuen Albums „In Hypnose“, von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu Deutschlands „einzig richtigem Popstar“ ausgerufen – sind Sie ein Phänomen?
Jens Friebe: Na ja, Phänomen nennt man Sachen, die man sich nicht richtig erklären kann. Ich verstehe mich aber sehr gut. Und werde von den meisten eigentlich auch richtig verstanden.
Hat bei Ihnen Verständlichkeit in der Musik etwas mit Massenappeal zu tun?
Massenappeal im Sinne von Stadionrock interessiert mich natürlich überhaupt nicht. Ein gewisses Funktionieren für viele Leute – und damit meine ich nicht die Mehrzahl – ist mir aber schon wichtig. Sonst wäre das ja wie bei einem Komiker, den nur wenige witzig finden.
Hat Sie der Erfolg Ihrer ersten Platte „Vorher Nachher Bilder“ überrascht?
Nein, das war am oberen Ende dessen, was man sich so gewünscht hat.
In „Kennedy“, dem ersten Stück auf „In Hypnose“, singen Sie: „Ihr sollt mich feiern, wie ich falle“ – wollen Sie sich damit vom Erfolg des ersten Albums gleich schon wieder abgrenzen?
Der Text reflektiert die Angst, die man hat als jemand, der die Erfahrung macht, Projektionsfläche zu sein und auch Opfer von Missgunst. Es geht mir um das Verhältnis von aufgeladenen Persönlichkeiten und Massen. Und um die Glorifizierung von Unglück und Scheitern. Eigentlich funktioniert „Kennedy“ wie „Star“ auf der ersten Platte: Man macht eine bewusst divaeske Positionierung, bei der manche Leute dann gleich denken: „Da kann man jetzt mal reinhauen.“
Aber wer soll denn etwas gegen den Poll-Gewinner und „einzigen richtigen Popstar Deutschlands“ haben?
Gerade in der Welt des Webs, wo viel anonym geschrieben wird, aber auch auf der Ebene des niederen Lokaljournalismus findet viel Hass mir gegenüber statt.
Aber wieso denn?
Ach, an vielem war ich selber schuld. Das Androgyne der ersten Platte war zum Beispiel Anlass für viele Beschimpfungen.
Spielen Sie deshalb auf der neuen Platte nicht mehr so sehr damit?
Ja, ich hatte jetzt schon das Bedürfnis, das mit der Androgynität nicht zu übertreiben. Sonst redet man nur über diesen Aspekt. Bei allem Spaß daran – es gibt noch anderes.
Also lieber gefällig als queer?
Nein, es reizt mich immer noch, mich angreifbar zu machen. Bei so einer Sache wie dem Cover von „Vorher Nachher Bilder“ [er trägt Lippenstift] war mir zum Beispiel klar, dass das polarisiert und viele allergisch drauf reagieren müssen. Aber dann bin ich doch traurig, wenn es passiert.
Auf „Vorher Nachher Bilder“ standen sich Elektro- und Gitarrenpop noch ziemlich unversöhnlich gegenüber. Die Songs Ihrer zweiten Platte klingen jetzt homogener, der Elektropopsound tritt ein bisschen hinter einen Eindruck von Hamburger Schule zurück. Was war der Antrieb dahinter?
Es sollte nicht mehr so laufen wie bei der ersten Platte: Da hatte ich zwei total unterschiedliche Produzenten, Tobias Levin und Armin von Milch, die nicht zusammengearbeitet haben. Diesmal wollte ich, dass meine Stücke zum Schluss nur über ein Pult laufen – dem Album also so etwas wie eine Schlussredaktion geben. Da dieser Endschliff diesmal allein von Tobias Levin besorgt wurde, entsteht dadurch der Eindruck, dass alles homogener sei. Tatsächlich sind die Produktionsweisen der einzelnen Songs aber ziemlich disparat. Ich habe zum Beispiel „Bungeeseil“ mit dem Kölner Elektromusiker Daso Franke arrangiert, „Kennedy“ dagegen mit zwei „echten“ Musikern aufgenommen.
In Ihrem Lied „Theke mit den Toten“ geht es gegen das Fleischessen – ein kleines bisschen richtiges Leben im falschen?
Was hat Judith Holofernes gesagt? „Im Bioladen einkaufen und gucken, wo die Sachen herkommen …“ Das ist natürlich alles richtig, man kann sich auch fragen, wie gleichberechtigt man seine Beziehung führt und so weiter, aber im Grunde ist das nichts, was man so richtig thematisch für einen Song bearbeiten kann.
Und da bleibt als politisches Thema nur der Vegetarismus?
Im Gegensatz zu anderen politischen Dingen lässt sich dabei die moralische Tat so gut bebildern. Da ist die Niedertracht im Produkt selbst so gut erkennbar. „Kauft nicht bei diesem Konzern!“, das erfordert schon wieder so eine Abstraktionsleistung. Bei Fleisch ist es halt so: Da liegen Leichenteile im Regal, das ist als Krassheit einfach zu benennen und hat einen starken künstlerischen Effekt.
Dann ist für Sie also an einer politischen Position vor allem ihre künstlerische Verwertbarkeit interessant?
Nein, aber wir reden ja hier über Kunst. Das ungerechte Wirtschaftssystem oder so etwas, das sind wahnsinnig abgedroschene Themen – da ist man gleich bei Live8. Oder einfach nur beim abstrakten Argument, das man schwer in Poesie umwandeln kann. Wobei Morrissey das auf seiner letzten Platte ja ganz interessant gemacht hat: Er hat in einer für ihn sehr ungekünstelten Sprache seine Positionen erklärt. Könnte man auch noch mal versuchen. Dafür muss man aber ja auch was finden, das gerade ans Leben grenzt. So etwas wie den Irakkrieg – auf den bezieht sich Morrissey – oder das Gegen-die-Regierung-Sein. Das ist schon reizvoller, als wenn man gleich gegen den kompletten Hauptwiderspruch ist.
Eine Frage unter Vegetariern: Tofuwürstchen – ja oder nein?
Ja! Besser sind aber Wheaties, die sind auf Weizenbasis. Die kann man sowohl grillen als auch wie eine Bifi essen.
Sie wohnen noch nicht so lange in Berlin, und man hat beim Hören Ihrer Musik nicht das Gefühl, dass Sie sich eindeutig der Berliner Szene oder der Stadt zuordnen lassen wollen. Ist es wichtig für Sie, nicht als Berliner Act angesehen zu werden?
Besser Berliner als Deutscher. Berlin steht für Weltläufigkeit, sagt aber ansonsten einfach wenig aus. Man kann ja langsam mal versuchen, das Label „Berlin“ mit Inhalt aufzuladen. Würde mich aber eigentlich interessieren, welche das sein sollen.
„In Hypnose“ (Labels/EMI) von Jens Friebe kommt am Montag in die Plattenläden