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hörbuchNuancen der Abgeklärtheit: Glückwunsch, Herr Brückner!

Schaut man einen deutsch synchronisierten Film mit Robert De Niro, sieht einen Dokumentarfilm, erduldet Bierwerbung im Fernsehen oder lauscht einem Hörbuch: an Christian Brückner – oder besser gesagt, an seiner einzigartig knarzenden Stimme – ist kein Vorbeikommen. Auch sonst ist der Sprecher umtriebig. Um losgelöst vom Novitäten-Zwang anspruchsvolle und auch mal abseitige Werke der Weltliteratur als Hörbuch produzieren zu können, gründete der Wahlberliner zusammen mit seiner Frau Waltraut den parlando-Hörverlag. Während er mit seiner Trademark-Stimme das Aushängeschild des inzwischen zum Argon-Verlag gehörenden Verlags ist, führt Waltraut Brückner mit konsequenter Hand Regie und ist für die Administration zuständig.

Das breit gefächerte Programm aus Prosa und Lyrik gestaltet das Ehepaar im Verbund, mit Vorliebe fällt die Wahl auf nordamerikanische Literaturklassiker (Herman Melville, Don DeLillo), aber auch europäische Klassiker (Gustave Flaubert, Homer) sowie politische und philosophische Texte. „Das Buch muss in den Körper gehen. Mit möglichst viel Lust“, hat Christian Brückner einmal gesagt. Entsprechend wählen die Brückners Texte, von denen sie denken, dass die Welt sie gehört haben muss, selbst wenn nur geringe Verkaufszahlen zu erwarten sind.

Zu seinem 75. Geburtstag schenkt Christian Brückner sich und seiner Hörerschaft die Sonderedition „Da Capo“, auf der er fünf ältere Hörbücher versammelt, die eher keine Straßenfeger sind, ihm aber „besonders am Herzen liegen“. Und recht hat er. Herman Mel­villes „Bartleby“, „diese absurde Parabel auf die Grenzen des Menschseins“, wie auf der Hülle zu lesen ist, ist nicht nur prächtige Weltliteratur. Das sanft-bestimmte „Ich möchte lieber nicht“, mit dem der Schreiber Bartleby sich aus dem Leben zurückzieht, genießt seit einigen Jahren bei Verweigerern und Passivisten aller Art geradezu Kultstatus. Deshalb verwirrt es leicht, dass Brückner in seinem kurzen Statement vermutet, nicht sehr viele würden „diese kleine Novelle“ kennen.

Egal, ob man nun endlich einmal den Text zum Zitat kennen lernen oder Bartleby wiederbegegnen möchte, Christian Brückner nimmt alle Hörer*innen mit auf eine emotionale Reise. Er lotet die zwischen Eitelkeit, Fassungslosigkeit und Resignation changierende Haltung des Erzählers feinfühlig aus, steigert Bartlebys stoische Verweigerungshaltung mit Empathie vom Lapidaren ins Fatale.

Von Aufbrausen bis Nachdenklichkeit: Brückner zieht sämtliche Register

Zusammen mit seiner Enkelin Zoe hat Brückner „Wo ist das Weltall zu Ende?“ von Hubert Reeves eingesprochen. Der kanadische Astrophysiker hat den Text verfasst, um seinen Enkeln das Weltall zu erklären. Brückner übernimmt die Rolle des Großvaters, der abgeklärt, aber nie oberlehrerhaft erläutert, wie etwa ein Stern entsteht oder wie lange das Licht braucht, bis es von der Sonne zur Erde gedrungen ist, mit spielerischer Vehemenz. Enkelin Zoe stellt die schlauen Enkel-Fragen auf so interessierte Weise, als wären sie ihr tatsächlich gerade in den Sinn gekommen.

Christian Brückner: „Da Capo“, Sonderedition mit fünf vom Sprecher persönlich ausgewählten Hörbüchern, Edition parlando Christian Brückner/Argon Verlag, 6 mp3-DCs, Laufzeit: 20 Stunden

Eine andere Nuance von Abgeklärtheit offenbart Brückner in der Lesung von Walter Benjamins „Berliner Kindheit um Neunzehnhundert“, verleiht ihr etwas Dokumentarisches, ein wenig Wehmut schwingt mit, aber auch die Ahnung auf kommende, schwierigere Zeiten. Bei der Lesung der Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“ von Charles Baudelaire zieht Brückner sämtliche Register, braust auf, ist resigniert, nachdenklich und fabuliert. Alles auf den Punkt und zu Ende gedacht, wodurch er die vielen Facetten der Gedichte sichtbar macht. Die Geschichte des Literaturprofessors David Lurie im Roman „Schande“ von Literatur-Nobelpreisträger J. M. Coetzee liest er distanziert, fühlt sich aber in die Protagonisten so ein, dass der jeweilige Gedankenkosmos für die Hörer*innen klar eingegrenzt ist.

Diese Sonderedition ist schlicht aufgemacht. Auf jeder CD findet sich eine kurze Zusammenfassung des Inhalts, Kurzbiografien der Autoren und von Brückner, sowie ein kurzes Statement, in dem er jeweils die Auswahl der Hörbücher begründet. Die Aufmerksamkeit gehört so ungestört den Texten, die es allesamt wert sind, noch einmal gehört zu werden. Sylvia Prahl

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