: Blüm-Fan kämpft gegen Bier-Arbeiter
taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Portrait. Wer kämpft um die Mandate? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Viersen
Viersen?
Nördlich von Mönchengladbach, an der niederländischen Grenze gelegen, beherbergt der Wahlkreis Viersen so bekannte Orte wie Tönisvorst, Niederkrüchten oder gar Willich. Wohlerzogene Kinder sagen zwar eher „Möchte ich“, der Name „Willich“ ist aber nur annähernd so seltsam wie der seines Ortsteils „Schiefbahn“. Noch von wirtschaftlichem Interesse: die gemeine rheinische Zuckerrübe wächst hier nicht nur, sie wird in Viersen zu einem klebrigen braunen Riegel verarbeitet. Dieser bringt verbrauchte Energie angeblich sofort zurück. Die verbleibende Süße der Region wird im Städtchen Kempen zu Keksen verbacken. Wer verteidigt den Wahlkreis?„Uwe Schummer führte die Prinzengarde zur Reichstagskuppel, wo sie sich mit einem dreifachen Willicher-Helau verabschiedeten.“ Da freut sich doch jeder Schiefbahner, wenn er solche Berichte von der Tätigkeit seines Bundestagsabgeordneten liest. Schummer gilt als CDU-Linker, stimmte als einer von vier Delegierten auf dem Leipziger Parteitag gegen Merkels Sozialumbaupläne. Lieber beruft er sich auf Blüm und Eppelmann als auf Koch und Stoiber. Er war schließlich Geschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse. In jener Zeit mischte er kreativ Stiftungs- und Parteigelder, was ihm im Frühjahr ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue einbrachte. „Bild“ nannte ihn daraufhin „Uwe Schummler“. Gern hört er Xavier Naidoo, Nena und Karel Gott. Also ein echter Verfechter des Rheinischen Kapitalismus.Wer will den Wahlkreis?Walter Schöler, jetzt noch haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, will ihn nach 13 Jahren Bundestag nicht mehr. Aus privaten Gründen, sagt der Geschäftsführer der SPD-Kreistagsfraktion, Ibrahim Yetim. Aber der neue SPD-Kandidat, Udo Schiefner, kenne das Leben der Bürger. Schließlich stehe er als Materialprüfer einer ortsansässigen Brauerei mitten im Leben. Statt Bier prüfte Schiefner allerdings in der vergangenen Woche einen Coffeeshop am Rande seines Wahlkreises jenseits der Grenze. Er könne die Holländer mit ihrer Drogenpolitik akzeptieren. Diese führe aber, so der Vater einer 17-jährigen Tochter, zur Verharmlosung von Haschisch hierzulande.Die großen Außenseiter?Der Versicherungsvertreter Thomas Brand ist Kandidat der FDP, Platz 36 der Reserveliste. Martina Maßen-Pyritz von den Bündnisgrünen hat Platz 13 und kommt, vorausgesetzt, die Grünen bekommen ein zweistelliges Ergebnis, die Fahrkarte nach Berlin. Der selbständige Graphiker Klaus Müller kandidiert für die Linkspartei.Die taz-Prognose?Schummer wird wiedergewählt. Der Angie wird er es aber verdammt schwer machen. Änderung des Kündigungsschutzes, Kopfpauschale, Senkung der Sozialleistungen, alles wird an Schummer scheitern. Wenn er denn nicht gerade eine Haftstrafe verbüßt. LUTZ DEBUS