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Der guten Sachewegen

Das „One World Berlin Human Rights Film Festival“ zeigt vier politisch engagierte Filme und eine Serie. Bei allen Unterschieden sind sie auch ästhetisch ansprechend

Von Silvia Hallensleben

Wie der politische Dokumentarfilm selbst stehen auch die ihnen gewidmeten Filmfestivals im Spannungsfeld zwischen dem Film als künstlerischem Ausdruck einer Autorenpersönlichkeit und dem Wunsch, der guten Sache wegen ein möglichst breites Publikum zu erreichen. So ging das im September von der Hilfsorganisation „Aktion gegen den Hunger“ erstmals ausgerichtete „Human Rights Film Festival“ in seiner Eigenbeschreibung so weit, das „Medium Film“ komplett als emotionalen Durchlauferhitzer zu hoffentlich folgendem politischen Engagement zu reduzieren.

Auch das diese Woche stattfindende „One World Berlin“ hat die Human Rights im Untertitel, ist mit vierzehn Jahren aber schon sehr viel länger auf der Welt und filmästhetisch breiter aufgestellt. Allerdings hat es sich in den letzten Jahren stark verkleinert, so dass dieses Jahr neben der vorgezogenen Aufführung von „A Woman Captured“ (Kinostart 11. 10.) nur drei Filme sehr unterschiedlicher Länge und Qualität und eine Serie auf dem Programm stehen. Thematisch und formal sind sie denkbar unterschiedlich.

Die Serie heißt „Rest in Power: The Trayvon Martin Story“ und dokumentiert in sechs Episoden ausführlich Ereignisse, Hintergründe und Folgen der Ermordung des unschuldigen schwarzen Teenagers 2012 in Florida und des skandalösen Freispruchs des Todesschützen ein Jahr später.

Dabei stehen neben Gesprächen mit Martins Familie und dem kafkaesken Prozess auch die vom Tod des Jugendlichen angestoßene „Black Life Matters“-Bewegung und die Rolle der National Rifle Association NRA im Fokus. Das damals noch von Produzent Harvey Weinstein für Paramount Networks mitinitiierte Projekt (mit Jay-Z als Koproduzent) in Regie von Jenner Furst und Julia Willoughby Nason hatte in den USA im April Premiere beim New Yorker Tribeca Film Festival.

Ebenfalls um Rassismen und globale Ungerechtigkeit im großen Stil geht es in „Poverty, Inc.“ (ebenfalls USA 2015, Regie: Michael Matheson Miller), der die florierenden milliardenschwere Geschäfte mit der Entwicklungshilfe und ihre oft fatalen Auswirkungen auf die lokalen Wirtschaften an Beispielen in Haiti und Ghana untersucht. Einen neuen Kolonialismus nennt das der Anthropologe und Berater Timothy Schwartz (der allerdings ironischerweise auf seiner Webseite mit den kritisierten Institutionen wie Care oder USAID wirbt). Exemplarisch kann der Fall von Jean-Ronel Noel stehen, der mit seiner Firma für solare Straßenbeleuchtung in schwere Bedrängnis kam, als die Hilfstruppen Haiti nach dem Erdbeben mit gespendeten Solarleuchten überschwemmten.

Doch auch in den Köpfen der mit Gaben Bedachten führt die Hilfe zu mentaler Abhängigkeit und Passivität, heißt es. Positive Gegenbeispiele des Films sind so Unternehmer wie der im Jahr 1990 aus den USA nach Ghana ausgewanderte und mit einer Softwarefirma erfolgreich gewordene Herman Chinery-Hesse oder die Kosmetik-Produzentin Magatte Wade. Doch so überzeugend und vielstimmig der (ja keineswegs neue) Appell an die Eigenkräfte der ehemals Kolonisierten klingt, so uniform der gegen Ende zunehmend penetranter werdende marktradikale Unterton des Films.

In der australischen Arbeit „Stare Into the Lights My Pretties“ (Regie: Jordan Brown) sind es statt der Gaben von NGOs und USAID die Screens von Handys & Co, die unsere Hirne vergiften, seit wir 8 Stunden täglich auf sie starren. Der Film rollte die Geschichte dieser Beziehung vom ersten noch begehbaren Riesencomputer ENIAC bis heute auf. Ein Verhältnis, das sich in weniger als eine Generation durch Beschleunigung und Miniaturisierung revolutionierte.

Auch der anregende und materialreiche Film ist trotz zwei Stunden Laufzeit mit Tempo erzählt, so dass man gerne mal die Stopptaste drücken würde. Das durchlaufende technikkritische Argument wird hier ­ebenfalls einer Reihe verteilter Stimmen in den Mund gelegt – von Andrew Keen („Alle Technologie beruht auf Ideologie“) bis zu der Neurowissenschaftlerin Susan Greenfield, die erklärt, was die tägliche ­Wischerei in unseren Gehirnen dauerhaft anstellt. Alexander Nix von Cambridge Analytics erläutert mit der von seinem Unter­nehmen praktizierten Forschung anschaulich die gesellschaftliche Bedrohung durch Big Data. Das ist so lehrreich wie deprimierend, auch wenn am Schluss in großen Lettern zum Widerstand aufgerufen wird.

Unverständlich ist nur – besonders bei der aktuellen Brisanz des Themas Rechtsextremismus –, wie mit „Vmannland“ eine schon im April 2015 ­gesendete, handwerklich unbefriedigende und im Inhalt überholte ARD-Reportage über V-Leute in der rechten Szene in das Programm mit „aktuellen dokumentarischen Arbeiten“ kommen konnte.

Das „One World Berlin Human Rights Film Festival“ findet vom 17. bis 20. Oktober im Aquarium am Kotti, Skalitzer Str. 6, und im Lichtblick-Kino in der Kastanienallee 77 statt, www.oneworld-berlin.de

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