: Gefühlte Wechselstimmung
Zehntausende waren am Wochenende auf Staatsbesuch im Kanzleramt. Vielleicht zum letzten Mal mit Gerhard Schröder. Dennoch spielte der SPD-Hausherr gut gelaunt Fußball und Tischkicker
VON RAFAEL BINKOWSKI
Streng blicken die sechs Altkanzler von ihren Porträts in der Ahnengalerie auf die Besucherinnen und Besucher, die beim Tag der offenen Tür am Samstag durchs Kanzleramt laufen. „Wo ist denn das Bild vom Schröder?“, fragt der neunjährige Marvin mit großen Augen seine Mama. Die meint schmunzelnd: „Der kriegt erst in drei Wochen eins, wenn er ausgezogen ist.“
Einem offenbar mit Rot-Grün sympathisierenden Herrn gefällt das gar nicht, wie sein Blick unmissverständlich verrät. Er sagt aber nichts. Irgendwie ist er spürbar, der sich anbahnende Machtwechsel. Und der Kampf des Hausherrn dagegen. Ist es Zufall, dass neben Kohls Ölbild gar kein Platz mehr ist für Schröders Konterfei?
Der Amtsinhaber setzt auf Optimismus und lässt sich schlechte Umfragewerte nicht anmerken. Freudestrahlend stellt er sich mit den Kids an den Tischkicker. Beim Schuss aufs Tor mit dem großen Ball macht er seinem Spitznamen „Acker“ aus alten Tagen alle Ehre. Und weil sich das Thema Fußball so schön eignet, Volkes Seele in Wa(h)llung zu bringen, werden die Besucher gleich hinter dem Eingang mit einer Dauerausstellung für die Fußball-WM 2006 euphorisiert. Ein Trikot der Recken von Bern ist ausgestellt, die Finalergebnisse von 1954, 1974 und 1990 prangen in übergroßen Lettern an der Wand. „Dumm nur, dass es wegen des vorzeitig aufgelösten Parlaments keinen WM-Bonus für die Regierung gibt“, murmelt eine Besucherin nachdenklich.
Alles nur Wahlkampf, wie die Opposition argwöhnt? Schließlich wird in drei Wochen gewählt, und wenn Otto Normalbürger sehen darf, wie wohl sich der Regierungschef in seinem Walhalla der Macht fühlt, könnte das schon beeinflussen. „Ist uns egal“, meint ein Mann aus Brandenburg, „wer weiß, ob die nächste Regierung das Kanzleramt auch für Besucher öffnet.“ Da ist sie wieder, die gefühlte Wechselstimmung hinter den dicken Mauern der Macht.
Die Besucher interessieren sich weniger für die Aufgeregtheiten des Wahlkampfes, sondern ob die Schlange zu lang ist (ja, aber es geht recht flott voran), ob man Familie Kanzler sieht (nein, nicht mal ihre Wohnung) und ob man saubere Schuhe braucht für den roten Teppich (nein, eine Frau bietet der wartenden Schlange trotzdem eine „Reinheitskontrolle“ an).
Und so richtig ins Zentrum der Macht, ins Allerheiligste darf der Besucher gar nicht: Von den beiden Kabinettssälen und vom Schreibtisch Schröders gibt’s nur Fotos. Nachdem sich Otto Normaltourist bei Mittagshitze in die Schlange gestellt hat, wie am Flughafen durch einen Metalldetektor gelaufen ist, wird man im Schnelldurchgang durchgeschleust.
So lässt sich auch nicht spekulieren, ob Angela Merkel einen anderen Geschmack bei Möbeln und Vasen in Büros und Privaträumen entwickeln würde. Immerhin, die goldenen Teetassen von Russlands Präsident Wladimir Putin darf man anschauen. Sie werden diskutiert: „Die würde Angela Merkel hier nicht ausstellen.“ Der regierungsnahe Herr, der eben noch verdrießlich schwieg, widerspricht nun endlich: „Wartet erst mal ab, die Schwarzen haben schon mal zu früh die Möbel bestellt.“