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Archiv-Artikel

nebensachen aus peking Wenn das Handy nachts piept: Racheakte und Millionenkredite im Angebot

Es piept. Wieder eine SMS. Ein Blick auf die Uhr: kurz nach 3 Uhr morgens. Wer sein Handy mit ins Schlafzimmer nimmt, ist selbst schuld, wenn der Schlaf nicht kommen will. Nachts ist das Pekinger Netz weniger ausgelastet, das nutzen findige Werbefritzen.

Diesmal kommt die SMS weder von einem der vielen Makler, die „Golden-City-Appartements in S-Bahnnähe“ anpreisen, noch von einem Reisebüro, das Billigtickets verkaufen will. Stattdessen bietet ein Herr Luo „gestohlene Autos, Gewehre, Falschgeld, Abhörgeräte, Zaubertränke“ an. Er vermittle auch „Kredite zu hohen Zinsen, Detektive und Dienstleistungen wie Racheakte oder Teilnahme an Prüfungen. Ferner können wir Zertifikate fälschen. Rückruf unter …“

217,76 Milliarden SMS wurden in China voriges Jahr verschickt – Tendenz steigend. Eine Goldmine: Jedesmal, wenn von einem der rund 400 Millionen Mobiltelefone ein Text versandt wird, rollt ein Jiao (etwa ein Eurocent) in die Kasse chinesischer Telekommanager. Kaum erahnen lässt sich, wie viele – und was für – Geschäfte sonst noch auf diesem Weg angebahnt werden.

Doch SMS sind nicht nur wirtschaftlich interessant: Sie vermitteln auch einen wunderbaren Eindruck von den vielfältigen und erstaunlichen Dingen, die sich in Peking ereignen: „Herzlichen Glückwunsch, Ihre Handynummer hat in der Lotterie der Firma Macau Yatai 108.000 Yuan gewonnen“, verspricht eine SMS. „Verschenken Sie Gold! Das Nationalmuseum gibt Goldbarren zum Jahr des Hundes in beschränkter Sonderauflage heraus“, verrät eine andere.

SMS-Romane und SMS-Zeitungen sind angekündigt. Umweltgruppen informieren über illegale Staudammbauten. Bewohner einer zwangsgeräumten Siedlung senden einen Hilferuf: „Der Abriss beginnt! Seht nur all diese hilflosen Leute!“ Auch die Polizei meldet sich ab und zu: etwa um daran zu erinnern, dass die Teilnahme an unerlaubten Protestkundgebungen illegal ist.

Aus der Hafenstadt Dalian sind junge Frauen eingetroffen, die meine Wünsche erfüllen wollen. Falls ich einen Kredit bis zu 5 Millionen Euro „ohne Bürgschaft, ohne Hypothek zur Lösung aller Finanzprobleme“ bräuchte, könnte ich mich an die Nummer 1 33 11 31 58 88 wenden.

Längst versucht die Regierung, politisch missliebige SMS-Texte – wie Falungong-Aufrufe – zu unterdrücken. Mobilphone-Anbieter mussten Filter einbauen. Wegen „Verbreitung falscher Tatsachen“ wurde zu Zeiten der Sars-Epidemie ein Mann verhaftet, der die offiziellen Krankenzahlen bezweifelt hatte.

Doch Milliarden von SMS zu kontrollieren, ist auch für den riesigen chinesischen Polizeiapparat schwierig – Unternehmer Luo jedenfalls ist noch erreichbar. Da ich derzeit weder ein Gewehr noch Falschgeld brauche, wird er mir den Zaubertrank verkaufen. Treffpunkt ist das Tuanjiehu-Postamt. Ich muss mich nur noch zwischen der flüssigen Variante und Pulver entscheiden. Der Preis für den halben Liter: 60 Euro. Damit „kann man Leute für eine Periode von zwei Stunden bis zu einem ganzen Tag in den Schlaf versetzen“, sagt Luo. Kein SMS-Piepen wird meine Träume mehr stören. JUTTA LIETSCH