berliner szenen: Keine Idee für einen Hund
Seit Tagen freue ich mich darauf, mit meiner Tochter zur art berlin zu gehen. Als es so weit ist, möchte sie lieber zeichnen: „Ich muss einen Hund machen, das ist wichtig.“ Sie beginnt mehrere Zeichnungen und wird zusehends frustrierter. Als das zweite Ohr ihres dritten Hundes vierfach größer gerät als das erste, schreit sie: „Das ist falsch – so sieht doch kein Hund aus! Ich habe einfach keine Idee für einen Hund.“ Ich drücke ihr ihren Mantel in die Hand: „Komm, wir gehen jetzt gucken, wie große Menschen Hunde malen. Vielleicht kommt dir dann eine Idee.“
In den Hangars am Flughafen Tempelhof rennt sie von einer Fläche zur nächsten: „Wow, die Farben!“ Und: „Da sind ja Spinnen!“ Dann muss sie auf die Toilette. Beim Händewaschen meint sie: „Jetzt gehen wir und machen zu Hause Kunst aus Klopapier, ja?“ Ich beuge mich zu ihr: „Wir wollten doch einen Hund finden!“ Sie gähnt. Ich versuche es mit Bestechung: „Und wenn ich dir erst einmal eine heiße Schokolade hole?“ Sie ruft: „Au ja! Heiße Schokolade!“
Da es an der Bar weder heiße Schokolade noch Sitzplätze gibt, kaufe ich ihr einen Saft und lasse sie damit auf einem Stuhl Platz nehmen. Sobald sie sitzt, geht ein Film an: Er zeigt eine Frau, die raucht und auf Schönheitsideale schimpft. Zum Glück ist der Film auf Italienisch und meine Tochter versteht kein Wort. Dafür macht sie die Rauchbewegungen der Darstellerin nach und pafft vor sich hin. Ich entdecke eine Hundeskulptur und rufe schnell: „Komm, ein Hund!“ Interessiert betrachtet meine Tochter den Wischmobkopf der Skulptur, geht dann auf die Viere und bewegt sich wie ein Hund. Nach zwanzig Metern legt sie sich vor einer großformatigen Leinwand hin und sagt: „Kunst macht müde.“ Ein Mann bleibt stehen, deutet auf meine Tochter und sagt: „Kann man die kaufen?“ Eva-Lena Lörzer
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