: Das Recht auf die Stadt einfordern
GENTRIFIZIERUNG Unter dem Motto „Süßes, sonst gibt’s Saures“ wird am Samstag in Neukölln demonstriert
Vier Monate nach der versuchten Besetzung des stillgelegten Flughafens Tempelhof wird jetzt zu einer Demonstration gegen die Kommerzialisierung der Stadt aufgerufen.
„Es geht um mehr als das Flughafengelände – Tempelhof ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt eine Aktivistin, die ungenannt bleiben möchte. „Neukölln soll massiv umstrukturiert werden und sich vom Ghetto zum Zuhause für Gewerbe und finanzkräftige Menschen wandeln.“ Sie befürchtet, dass der erhoffte Glanz nicht auf die historisch gewachsene finanzschwache Bewohnerstruktur fallen wird, sondern dass diese nach und nach verdrängt werden wird. So hat zum Beispiel die Aktion Karl-Marx-Straße, ein Großprojekt des Senats und der Bezirksregierung Neuköllns, zum Ziel, „die Struktur von Handel und Dienstleistung zu stärken“. Sie sieht vor, ein riesiges Areal (Hermannplatz bis S-Bahnhof Neukölln) komplett umzustrukturieren. Begründet wird das damit, dass die Karl-Marx-Straße in den letzten Jahren als Einkaufsstraße an Bedeutung verloren habe und mittlerweile von Billigläden wimmle. Das „Niveau“ soll aufgewertet werden. Die Stadt verfolgt dabei ein einfaches Konzept: Durch gezielte Förderung von Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit will man Geld in die leeren Kassen bringen, also zahlungskräftige Menschen anlocken. Die historisch gewachsene soziale Zusammensetzung des Bezirks wird dabei lediglich als Vermarktungsstrategie benutzt. So wird die kulturelle Vielfalt als „Alleinstellungsmerkmal“ betrachtet, die dem Standort Attraktivität verleihe – ungeachtet der ungelösten Probleme, die erst dazu geführt haben, dass Migranten sich in Ghettos ballen, oder der Probleme, die dann daraus erwachsen.
„Auch wir meinen, dass hier dringend etwas getan werden muss“, sagt die Aktivistin, „Neukölln hat viele Probleme, zum Beispiel der Mangel an Bildungszugang für die Bewohner oder die systemische Perspektivlosigkeit, die sie täglich mit sich zu tragen haben. Aber solche Probleme werden nicht durch eine kapitalgerichtete Politik gelöst werden können. Man schert sich einen Dreck um die Bewohner – denen fehlt Geld zum Leben und jetzt will man ihnen auch noch die Billigläden durch Teuer- und Szeneläden ersetzen, das ist doch keine Politik für Menschen. Das ist kalkulierte Vertreibung.“
Tatsächlich ist für den Neuköllner Schillerkiez vom ansässigen Quartiersmanagement eine „Task Force“ in Planung, die offensiv das Stadtbild schminken soll. Das Strategiekonzept benennt explizit Trinker und Romafamilien als Probleme, um die sich die Task Force zu kümmern habe. Dabei wird an Vorurteilen nicht gespart: Laut Konzept kommen Roma durch „kleine Diebstähle und halblegalen Handel“ an ihren Lebensunterhalt und sehen „Schulbildung nicht als wichtig und notwendig an“. Außerdem soll gegen papierlose Menschen vorgegangen werden, und Repressionsmaßnahmen gegen Hartz-IV-Empfänger sollen unter den Behörden besser koordiniert werden. „So soll das Bewohnermilieu unter Druck gesetzt, eingeschüchtert und schließlich vertrieben werden, damit Platz ist für Yuppies!“
Projekte wie die Task Force oder die Aktion Karl-Marx-Straße erreichen vor allem, dass sich die ungeliebten Bewohner von ihrem Lebensumfeld immer mehr entfremden. Anstatt sich um die langjährigen Bewohner zu kümmern, bewirbt der Senat Neukölln als „jung, bunt und erfolgreich“ – darüber und über jeden Medientitel, der Neukölln als „Szene“ darstellt, freuen sich die Hauseigentümer wahrscheinlich scheckig.
Und dann ist da noch Tempelhof. Ein riesiges ungenutztes Gelände, das stark bewacht und umzäunt mitten in Neukölln steht. Der Senat hat sein Versprechen gebrochen und das Gelände bislang nicht für die Anwohner zugänglich gemacht. Stattdessen fand dort unter anderem eine größenwahnsinnige Feuerwerksschau statt, die den ganzen Bezirk mit Schadstoffen überzog. „Das wollte sicher kein Neuköllner“, sagt die Aktivistin, „das ist der Gipfel an Beleidigung und Entmündigung. Wir wollen eine selbstbestimmte Stadtentwicklung. Demokratie. Wozu ein Zaun zwischen den ohnehin schon drangsalierten Bewohnern und einer komplett freien Fläche, deren Zugang ihnen mal zur Abwechselung einen Blick in die Weite ermöglichen würde?“
Am kommenden Samstag um 17 Uhr wird am Hermannplatz demonstriert. SAM T. FARD
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