berliner szenen: Was soll das? Ich bin Künstlerin
In den vergangenen Jahren war die „Berlin Art Week“ immer eines meiner jährlichen Highlights. Weniger wegen der Kunst, als vielmehr wegen der guten Freundin, die eigens für die Woche kam. Und wegen der nicht selten amüsanten Reaktionen des Publikums. Vor zwei Jahren erzeugte ein Künstler in einem geschlossenen Raum eine halbe Stunde lang seltsame Töne, ohne dabei die Miene zu verziehen – zum Frust zweier Männer, die sich wohl anderes erwartet hatten, jedoch nicht wagten, ihre Plätze zu verlassen und eine Unterhaltung über Sexabenteuer begannen.
Ein Jahr später diskutierten drei Frauen vor einem Kleiderständer mit Haute Couture, ob die Macher der Messe mit der Wahl dieses „Ausstellungsstücks“ – die eine malte mit gerunzelter Stirn Anführungszeichen in die Luft – wohl sagen wollten, dass Mode auch Kunst sei. Im Hof erzählte ein Mann in türkisfarbenem Seidenanzug mit Papageienprint, er sammele amerikanische Malerei: „Weil das die einzige Anlage mit hoher Gewinnspanne ist.“
Im Hamburger Bahnhof fragte die Einlasserin alle: „Darf ich ihnen einen Stempel geben, damit Sie Teil des Kunstwerks werden?“ Eine Dame in roter Robe herrschte sie an: „Was soll das? Ich bin Künstlerin!“ Die Einlasserin blieb gelassen: „Unser heutiges Motto ist: Alles ist Kunst.“ Auf dem Vorplatz fischte ein Mann im maßgeschneiderten Anzug im Müll. Kurz überlegte ich, ob auch er Teil der Performance ist. Dann verwarf ich den Gedanken wieder. Er sah sehr fertig aus.
Dieses Jahr hat meine Freundin einen Sohn bekommen und mir per Post ihre Freikarten zukommen lassen. Ich bin gespannt, was meine bald fünfjährige Tochter zu den Ausstellungsstücken und Performances sagt. Als ich sie bat, mich zu begleiten, fragte sie: „Macht die Kunst da Spaß? Oder ist sie für Erwachsene?“
Eva-Lena Lörzer
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