piwik no script img

Ausgehen und rumstehen von René HamannDie Wespen in Hamburg hatten den Schuss nicht gehört

Das Wochenende stand ein wenig unter dem Motto „Schlaflos in Neukölln“, aber die Auszugsparty im alten taz-Haus konnte am wenigsten dafür, denn da war ich gar nicht. Stattdessen musste ich mich über einen Wespenstich in Hamburg und vier Mücken in Berlin ärgern. Zwischendurch war ich im Lido (vgl. taz von gestern) bei Goat Girl, bei einem Fußballturnier samt Mittagsbesäufnis in einem guten, alten Vereinsheim in Hamburg-Altona (siehe ebenfalls taz von gestern) und abschließend bei einem knapp-U40-Geburtsbrunch, der sich über den ganzen Sonntag zog. Dazu gab es noch haarsträubende Erlebnisse im öffentlichen Nahverkehr und etwas Architekturkritik aus dem Zug heraus.

Die Wespe hatte mich am Wiesenrand erwischt, einen Tag nach Sommerende. Seitdem juckt mein linker Unterarm. „The star of the summer is gone“, wie eine kleine Band namens George einst sang, deren Single ich zum Sommerende noch einmal gehört habe. Ein melancholisches Stück. Die Wespen in Hamburg hingegen hatten den Schuss nicht gehört und benahmen sich immer noch spätsommerlich, und zwar so, wie sich Wespen eben benehmen: rücksichtslos, zuckersüchtig, geil, stichfest. Zum Glück bin ich nicht allergisch.

Die Mücken in Neukölln hatten nach Schutz und Obdach gesucht und die tiefe Nacht abgewartet, um Luftangriffe zu fliegen. Ärgerlich, aber nicht schlau, denn so ein Sturzflug in Ohrnähe weckt eben auch die Luftabwehr. Viermal war Fliegeralarm in der Nacht, und am nächsten Morgen hieß es wieder: früh aufstehen.

Schließlich stand der Ausflug nach Hamburg an. Die dortige Medienlandschaft hatte zum Fußballturnier geladen, und wenn einer der Reaktionären Wind davon bekommen hätte, hätte ein Großteil der norddeutschen Lügenpresse mit einem Schlag vernichtet werden können. Aber vernichtet wurden wir auch so. Immerhin gab es nach knappen Niederlagen ohne ein einziges eigenes Tor und besagtem Wespenstich Trost bei Grill, Salat und reichlich Freibier, das der stellvertretende Chefredakteur des Stern umso gönnerhafter unter den weit Angereisten verteilte. Ein schön heruntergerocktes Vereinsheim mit Arbeiterklassencharme aus der vorvorherigen Jahrhundertwende (SC Union von 1903) und kurz nach Mittag bereits angetüdelte Akteure, weiblich wie männlich, so geht Freizeitfußball!

In Hamburg wird übrigens viel gebaut, vor allem im eh nicht so hübschen Altona. Aus dem Boden gestampfte Viertel, die aussehen wie die Kulissen der Truman Show. Lustigerweise zeigt sich bei der Anfahrt in Berlin ein ähnliches Bild: Die neu entstehende Europacity sieht ja genauso aus! Also irgendwie kalt, sauber, klinisch und insgesamt eher scheußlich.

Es gab Eiereulen, Fliegenpilz-Eier und Fachgespräche über das Älterwerden

Da lobe ich mir mein verranztes Neukölln. Dort konnte ich am frühen Sonntagmorgen drei Russen beim Warten auf die U7 beobachten. Sie redeten viel und standen etwas bedrohlich und recht viril um die Sitzbänke herum. Im Wagon dann teilte ich mir den Vierer mit zwei Romafrauen. Die wiederum von einem der Russen herangewunken wurden. Frage an das Volk: Was würde passieren? Ich sage es euch: Der Russe öffnete seinen Rucksack und überreichte der Romafrau eine volle Tüte mit belegten Brötchen.

Die U40-Geburtstagsfeier am Sonntag war dann auch überraschend nett. Es gab Eiereulen und Fliegenpilz-Eier und Pflaumenchutney und überhaupt reichlich zu essen, dazu gute Musik und Fachgespräche über das Älterwerden und Umschulungen zur Paartherapie. Klingt langweilig, war es aber nicht. Ausklang fand das Wochenende dann vor dem heimischen Fernseher. Wo andere den Tatort gucken, schaue ich mir entweder Kabarett an (gut: Florian Schröder, inzwischen fies-unangenehm antilinks: Dieter Nuhr) oder die Quizshow „Gefragt gejagt“, in der eine Hebamme auf die Frage, wie viel Schamlippen eine Frau habe, die Antwort „Zwei“ gab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen