Headbanging Bagdad

Arabiata: Die irakische Heavy-Metal-Band AcrassicaudA wartet auf bessere Zeiten

Headbanging ist verboten.Alkohol ist verboten. Laute Musik ist auch verboten

„Green Zone“ in Bagdad: Nicht jene „Grüne Zone“, in der sich die meisten US-Amerikaner und die irakische Übergangsregierung verschanzt haben. Diese „Green Zone“ befindet sich auf einem Hotel im Stadtteil Karade. Über den Dächern der irakischen Hauptstadt, schräg gegenüber der echten „Green Zone“ auf der anderen Seite des Tigris, hat das Hotelmanagement zwischen brummenden Generatoren, Wassertanks und Satellitenschüsseln eine eigene „Green Zone“ geschaffen: Ein paar Tische, Stühle sowie eine höfliche Bedienung – und das alles auf einem großen Stück grünem Kunstrasen.

Äußerst höflich auch bedanken sich die zwei Gäste beim Kellner für das Bier, das er ihnen gebracht hat. Sie sind sehr gepflegt; tragen Jeans und ordentlich gebügelte Hemden, Sie sind frisch rasiert, die Haare sind nicht zu kurz, nicht zu lang und in der Mitte gescheitelt. Popper hätte man sie vor zehn Jahren in Deutschland genannt. Für die beiden 21-jährigen Iraker wäre das wohl eine Beleidigung. Populär jedenfalls sind sie überhaupt nicht im Irak – und Pop machen sie schon lange nicht: Marwan und Faisal sind Mitglieder der einzigen Heavy-Metal-Band im Irak: AcrassicaudA.

Ihr letzter Auftritt liegt schon länger zurück. Das Konzert fand am 15. Juli statt, im renommiertesten Club Bagdads, dem „Hunting Club“. Ein Desaster, sagt Schlagzeuger Marwan: „Das Erste, was sie uns gesagt haben, war: Headbanging ist verboten. Du weißt: Heavy-Metal-Fans tanzen nicht, sie schütteln immer nur ihren Kopf. Das Zweite, was sie uns sagten, war: Alkohol ist verboten. Laute Musik ist auch verboten. Und schnelle Musik sowieso. Das war eine Scheißsituation.“

Marwan, Faisal und ihre zwei anderen Band-Kollegen sind dann trotzdem aufgetreten und haben sich so gegeben, wie sie es wollten. Die gut 200 Gäste, allesamt ausgemachte AcrassicaudA-Fans, haben dennoch Bier getrunken und wild ihre Köpfe geschüttelt. Das war zu viel für die Veranstalter. „Die haben gesagt: ‚Es gibt hier kein Heavy Metal mehr!‘ – ‚Warum genau?‘ war unsere Frage daraufhin. Und die Antwort: ‚Weil das unsere Religion ankratzt und unsere Gefühle‘ “, so Faisal.

Die Texte, zu denen AcrassicaudA Heavy Metal machen, verfassen die Bandmitglieder selbst. Sie handeln von Liebe und anderen Gefühlen, nicht von Politik, Religion oder aktuellen Ereignissen in ihrem Land. AcrassicaudA spielen nichts nach, weshalb sie eben auch sagen: Wir machen „irakische“ Musik, wenn auch mit anderen Tönen und auf Englisch. Das macht ihre Kunst gefährlich.

Schon mehrfach hatten die Bandmitglieder deshalb Angst, ins Visier militanter Gruppen zu geraten. Deshalb – und wegen der schlechten Erfahrungen mit ihrem letzten Konzert – treten sie nicht mehr auf. Die vier Musiker treffen sich nur noch zu Proben in einer kleinen Garage nicht weit entfernt von dem Hotel mit der „Green Zone“ auf dem Dach. Zeit genug haben sie zum Üben, drei von ihnen sind arbeitslos. Nur Marwan hat einen Job gefunden, für den er meist nachts raus muss: Er arbeitet für die Amerikaner als Übersetzer: „Wir suchen nach Bomben und so. Nach außen bin ich mutig, aber innen drin zittere ich. Ich piss mir vor Angst in die Hose. Ich mag den Job wirklich nicht. Und ich bin nicht stolz auf den Job. Aber es ist ein Job, mit dem ich die Band durchbringe.“

Das heißt, dass Marwan relativ gute Kontakte zu US-Soldaten hat. Und in die echte „Grüne Zone“, jenes Hochsicherheitsareal, das gegenüber dem Hotel mit dem grünen Kunstrasen, auf der anderen Seite des Tigris liegt. Haben er und seine Band-Kollegen nie gefragt, ob sie vor den vielen Ausländern, die in der „Green Zone“ wohnen, ein Konzert geben können? „Wir haben es ihnen nie angeboten“, sagt Marwan. „Sie haben uns gefragt. Wir haben ihnen darauf gesagt, wir spielen nicht für Amerikaner. Die Leute würden das missverstehen und mir eine Granate ins Haus jagen oder eine Kugel in den Kopf. Das würde als Kollaboration verstanden.“ Faisal hat aus denselben Gründen Angst, in der „Green Zone“ aufzutreten und sagt: „In Saddam Husseins Zeit haben wir drei Konzerte gegeben. Ich will die Politik gar nicht ins Gespräch bringen, weil ich mich für die ganze Politik-Scheiße nicht interessiere. Ich sage nur die Wahrheit. Ich hatte keine Probleme unter Saddam Hussein.“ Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate haben die Musiker von AcrassicaudA zwar längst die Konsequenz und sich in ihre Probengarage zurück gezogen. Aber sie haben nicht resigniert. Marwan sagt am Ende des Abends in der „Grünen Kunstrasenzone“: „Kein Headbanging, kein Konzert, nichts Lautes, keine kreischenden Gitarren, kein Heavy Metal, keine Band. Wir warten ab – auf bessere Veranstalter und bessere Zeiten.“

BJÖRN BLASCHKE