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Archiv-Artikel

ARNO FRANK über GESCHÖPFE Welches Tierchen wären Sie denn gerne?

Wer auf diese scheinbar harmlose Frage arglos antwortet, gerät in Teufels Küche (der wäre übrigens gerne ein Pudel)

In der Küche steht noch das Weinglas von gestern Abend, mit den kirschroten Spuren ihres Lippenstifts. In der Luft hat sie ihr Parfüm liegen lassen. Anne ist also heute Morgen abgereist, sieht ihr ähnlich. Ob das ein schlechtes Zeichen ist? Auch egal. Erst mal lüften.

Und kurz Nachdenken, ob ich gestern irgendwas falsch gemacht haben könnte. Nö, eigentlich nicht. Nett war’s eigentlich, so nett wie jedes Jahr, wenn meine teure Exfreundin für drei Nächte ihre Isomatte in meinem Wohnzimmer ausrollt. Tagsüber tauscht sie sich dann immer auf einem Kongress mit ihren Kollegen aus, abends mit mir – was aus ihrer Sicht womöglich auf dasselbe hinausläuft. Hm.

Anne ist promovierte Psychologin, spezialisiert auf die Behandlung von Depressionen, gläubige Protestantin und glückliche Mutter von vier vermutlich noch glücklicheren Kindern – deutliche Indizien für mich, dass das damals ohnehin nichts hätte werden können mit uns, so rein lebensentwurfstechnisch.

Deshalb ging ich auch nicht darauf ein, als Anne mir mit rotweinschwerer Zunge eine Falle stellte, eine scheinbar harmlose Frage, bei deren Beantwortung wir komplett die Hosen runterlassen, ohne es zu merken – weshalb sie auch in jedem zweiten Fragebogen vorkommt, in unterschiedlichen Varianten. In der Süddeutschen Zeitung etwa: „Welches Tier gefällt Ihnen?“

Das Rennen machen da regelmäßig Katzen, Hunde und Delfine. An Katzen finden vornehmlich Frauen Gefallen, weil die angeblich „eigensinnig und gleichzeitig zärtlich sein können“, irgendwie rätselhaft. Männer tendieren eher zum „treuen, verlässlichen Freund“, dem Hund. Im Restaurant würden uns zwar Schweineschnitzel und Rindersteak am besten „gefallen“.

Aber darum geht’s ja auch nicht, wie die Variante im Fragebogen der Herren-Illustrierten Playboy hübsch veranschaulicht, neues Spiel, neues Glück: „Du wirst als Tier wiedergeboren. Was wärst Du am liebsten?“

Wer da nicht sofort mit „Alphatier!“ antwortet oder wenigstens einen Ferrari-Hengst oder Lamborghini-Stier anzubieten hat, der wäre mit der Frankfurter Allgemeinen besser bedient, die mit Marcel Proust nach dem „Lieblingsvogel“ fragt.

Ist mein Vogel nicht der bedächtig über den Dingen kreisende, scharfblickende Adler? Staaten stehen drauf! Oder ein schneller, wendiger und teurer Jäger wie der Falke? So oder so hätte ich mich als ein Mensch beschrieben, der den Kampf nicht scheut, der gerne Beute macht und sich eher am oberen Ende der Nahrungskette verortet.

Aber auch die schöngeistige Variante kennt ihre Eliten, dann will man gerne am besten singen können – wie die Nachtigall! – oder wenigstens am besten angezogen sein – wie der Schwan.

Der wird zwar definitiv vom Pfau übertrumpft, der allerdings unter Eitelkeitsverdacht steht. Wie auch der Hahn, was allerdings stolze Nationen nicht weiter kümmert. Undenkbar auch, dass die Wahl auf den Spatz mit seiner zu kümmerlichen oder den Geier mit seiner allzu üppigen Ernährung fällt.

Es sei denn, ein Max Frisch erweitert die dumme Frage ins Philosophische, wie er es in seinen Tagebüchern getan hat: „Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit leben als ein gesundes Tier? Und als welches?“

Wer möchte schon gerne gestorben sein? Dann doch lieber als kerngesunder Delfin weiterleben, der ist gesellig und schlau und unerschrocken, der bessere Mensch eben.

Ich wäre gerne eine Qualle. Gemeine und glibberige Gesellen sind das, gewiss, doch bestehen sie zu mehr als 99 Prozent aus dem Element, in dem sie leben. Ein transzendenteres Tier gibt es nicht. Weil man der Qualle aber einen gewissen Opportunismus und einen Hang zum Sich-Treiben-Lassen nicht absprechen kann, drückte ich mich um die Antwort.

Worüber wir auch reden, immer reden wir über uns. Später am Abend beschrieb sich Anne übrigens als „elegant, aber nicht zu modisch, als robust, aber nicht zu derb, langlebig halt, mit Absatz, aber nicht zu hoch“. Ich hatte sie gefragt, welcher Schuh sie gerne wäre.

Fotohinweise: ARNO FRANK GESCHÖPFE Fragen zum Fragebogen? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN